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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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Ohne hartnäckigen Druck in Form von Eingaben war bei der personell notorisch<br />

unterdotierten Stadtverwaltung allerdings kaum etwas zu erreichen.<br />

1906 forderte der Quartierverein den Stadtrat ultimativ auf, die Bernstrasse als letzten<br />

Aussenbezirk endlich in den Stadtbaubezirk aufzunehmen. Als Missstände, die sich ergeben<br />

hatten, weil die städtische Bauordnung an der Bernstrasse keine Anwendung fand, nannte er<br />

den Bau der unteren linksseitigen Häuserzeile dicht der Strasse entlang, die Erstellung von<br />

Mietskasernen an der oberen Bernstrasse und die Entwertung der Strasse allgemein.<br />

"Spekulationswut feierte hier, wie nirgendsgleich, ihre fragwürdigen Triumphe", resümierte<br />

der Quartierverein. 289<br />

Trotz gezielten Fernhaltens der Unterschicht vom Verein betrachtete sich der Quartierverein<br />

Bernstrasse als Repräsentant der ganzen Quartierbevölkerung. Seine sozialpolitischen<br />

Aktivitäten lassen sich als Strategie lesen, die Öffentlichkeit des Quartierraums zu<br />

beschneiden und kleinbürgerliche Wertordnungen durchzusetzen. 290 Mit Erfolg wurde das<br />

Wäscheaushängen gegen die Strasse hin unterbunden: 1908 bot nur noch ein Haus Anlass zur<br />

Beanstandung. Anfang der 20er Jahre lancierte der Quartierverein einen Wettbewerb zur<br />

Verschönerung der Gärten. Eine "Blumenkommission" prämierte 30 Personen für besonders<br />

gepflegten Garten- und Balkonschmuck. 291 Blumenschmuck an Häusern war eine relativ neue<br />

Erscheinung. Auf alten Fotos der Baselstrasse um die Jahrhundertwende sind noch keine<br />

beschmückten Häuser erkennbar. Der Quartierverein setzte sich nur selten für Anliegen ein,<br />

von denen auch arme Anwohner profitierten: So intervenierte er beim Konsumverein, der für<br />

Kohlelieferungen an die obere Bernstrasse einen speziellen Transportzuschlag erhob, und bei<br />

einem Lehrer, der Schulkinder von der Bernstrasse beschimpft hatte; in einer Eingabe an die<br />

Polizeidirektion 1908 verlangte er die Wiedererrichtung des im Zuge des Baus der St.-Karli-<br />

Brücke abgebrochenen Waschstegs, da er, anders als in den neuen Quartieren, im Untergrund<br />

noch nötig sei. 292<br />

Hohen Stellenwert mass der Quartierverein dem Kampf gegen den üblen Quartierruf bei. Dies<br />

ging so weit, dass er auf Richtigstellungen beharrte, wenn die Tagespresse - etwa im Mai<br />

1907 der "Tagesanzeiger" - von einem Radau an der Bernstrasse berichtete, der sich streng<br />

genommen auf Littauer Boden ereignet hatte. Die Gewährleistung von Ruhe und Ordnung<br />

war aus der Sicht der Hausbesitzer grundlegend für eine Aufwertung der Bernstrasse als<br />

Wohnquartier. In einer Eingabe an den Stadtrat 1898 verlangte der Quartierverein verstärkte<br />

Polizeipräsenz im Quartier. Anstoss erregten illegale Winkelwirtschaften, in denen nachts<br />

musiziert, getanzt und gelärmt wurde, "viele zweideutige Frauenzimmer" bzw. "italienische<br />

und hiesige Dirnen", die "Unsitte" verbreiteten, auf den Gehsteigen diskutierende Italiener,<br />

welche die Passanten zu Ausweichmanövern auf die dreckige Strasse nötigten, ja sogar die<br />

abends auf der Strasse spielenden Kinder. Als Sofortmassnahmen gegen die besonders an<br />

289 Eingabe an den Stadtrat vom 4.10.1906.<br />

290 Fritzsche (1990), S. 31.<br />

291 Prot. Quartierverein Bernstrasse 17.12.1923.<br />

292 Prot. Quartierverein Bernstrasse 5.11.1904 und 30.8.1916.<br />

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