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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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Der "Luegisland" warf den Sozialisten vor, sie entheiligten die katholischen Feiertage durch<br />

Bergtouren und Veloausflüge, deuteten Weihnachten zur mitternächtlichen Sonnenwendfeier<br />

im Volkshaus um, Ostern zum heidnischen Frühlingsfest und Pfingsten zum Festtag der<br />

revolutionären Jungburschen. 248<br />

Die politische Dimension alltagskultureller Gewohnheiten war innerhalb der<br />

Arbeiterbewegung selber umstritten. Die Luzerner Kommunisten kritisierten das bürgerlichvolkstümliche<br />

Brauchtum rigoros: Ein Grossteil der sozialdemokratischen Arbeiterschaft<br />

gerate am 1. August mit der Teilnahme an den offiziellen Bundesfeiern ins Fahrwasser<br />

bürgerlicher Mentalität. 249 Auch die Fasnacht wurde nicht verschont: "Arbeiter! Merke doch,<br />

was mit Dir getrieben wird. Bleibe diesem Verblendungsgetriebe fern, werde ein Mensch, sei<br />

wie die Natur, revolutionär gegen alles, was Dich am Fortkommen hindert." 250 Die<br />

Sozialdemokraten wandten sich lediglich gegen Auswüchse wie die Anfang der 20er Jahre in<br />

mondänen Kreisen in Mode kommenden Gesindebälle. Die Veranstalter des ersten Luzerner<br />

Gesindeballs 1921 warben im "Vaterland" mit herrschaftlicher Pose für ihren Anlass: "Der<br />

Anreiz liegt bekanntlich darin, dass das 'Oben nach unten' gekehrt ist in dem Sinne, als die<br />

'Herrschaften' als Dienerschaft aufrücken, wie dies ja nun in heutiger Zeit auch bald das ganze<br />

Jahr Mode zu werden beginnt." 251 Das "Arbeiterblatt" verurteilte den Anlass als dekadente,<br />

"sinn- und geistlose Maskerade" und erinnerte an den altrömischen Brauch der Saturnalien,<br />

wo die Sklaven tatsächlich einen Tag lang von ihrer Herrschaft bedient worden seien. 252<br />

Aus geistlicher Sicht sollte sich Alltagskultur im Rahmen staatsbürgerlicher Tugenden<br />

entfalten. Dazu gehörte die Pflege männlicher Wehrkraft. Der geistliche Verfasser eines<br />

Entwurfs aus dem Jahre 1915 zur religiösen Unterweisung der Schülerkongregation Luzern253 empfiehlt die Pflege des Kriegshandwerks als Bestandteil der Freizeitgestaltung.<br />

"Auch die Kaserne dort drüben sagt euch etwas. Das ist ein schlechter Soldat, ein miserabler Patriot, der<br />

ausser dem Kasernenviertel sich seines Waffenrocks schämt und eine altjüngferliche Sehnsucht hat nach<br />

seinem warmen alten Lismer und den Finken. Pfui! Ein wackerer Soldat hält auch ausserhalb des<br />

Dienstes sein Interesse an militärischen Dingen wach, macht mit in einem Militärverein und bei<br />

Schiessübungen. Er will Soldat sein, nicht nur heissen." 254<br />

Auf den Punkt brachte der Luzerner Vorkämpfer der christlichsozialen Bewegung, Prälat<br />

Albert Meyenberg, die Verschränkung von patriotischem Wehrwillen und Katholizismus in<br />

einer Predigt nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges: "Es gibt nichts Schöneres als die innige<br />

Verbindung der Wehrkraft des Mannes mit der allmächtigen Kraft des ewigen Gottes." 255<br />

248 L 4/15.6.<strong>1920</strong>.<br />

249 "Kämpfer" 5.8.1921<br />

250 "Kämpfer" 28/4.2.1926.<br />

251 V 29.1.1921.<br />

252 AB 2.2.1921.<br />

253 Im Januar 1915 von den städtischen Pfarrern gegründete Knabenkongregation St. Leodegar (Ende 1915: 216<br />

Mitglieder). Eine Mädchenkongregation sollte später geschaffen werden ("weil den Knaben der Vortritt<br />

zukommt"; Protokolle der Jünglingskongregation Luzern, Pfarreiarchiv St. Leodegar).<br />

254 Protokolle des Jünglingsvereins der Stadt Luzern (Pfarreiarchiv St. Leodegar).<br />

255 Schmid (1987), S. 127f.<br />

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