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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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9.2. Der Quartierverein Bernstrasse: Guter Quartiergeist oder Interessenlobby?<br />

1890 wohnten neun Hauseigentümer an der Bernstrasse; total gab es erst 13 Häuser. In den<br />

90er Jahren wurden an die 50 neue Häuser, u.a. Mietshausreihen am oberen Strassenabschnitt,<br />

errichtet. Der Quartierverein Bernstrasse entstand 1896 auf Initiative der neuen Hausbesitzer.<br />

An der Baselstrasse existierte mit dem "Wächter am Gütsch" bereits seit 1864 ein<br />

Quartierverein. Er war aus einer spontanen Protestaktion der Bevölkerung gegen die Sperrung<br />

des Zugangs zum Waschsteg an der Reuss durch den Besitzer der Sentimatte, Xaver Meyer,<br />

entstanden. 285 Die unterschiedliche Entstehungsgeschichte der beiden Quartiervereine ist<br />

insofern relevant, als die im folgenden geschilderten Zustände an der Bernstrasse kaum auf<br />

die Baselstrasse übertragen werden können. 286<br />

Als erster Präsident des Quartiervereins Bernstrasse amtierte Fabrikant Johann Ehrenberg, der<br />

eine mechanische Werkstatt in der Sentimatt betrieb. Die Mitgliederzahl des Vereins blieb<br />

recht tief: sie stieg von 14 im Gründungsjahr auf 40 im Jahr 1910 und 48 <strong>1920</strong>. Von den 23<br />

im Jahr 1910 an der Bernstrasse wohnhaften Hausbesitzern gehörten 16 dem Quartierverein<br />

an (<strong>1920</strong>: 20 von 28). Das unterschichtige Bevölkerungssegment fehlte gänzlich, wie eine<br />

Überprüfung anhand der Steuerregister zeigt. Der erste Italiener, Ernesto Bernaschina,<br />

gelangte nach 1910 in den Quartierverein. Pikant ist die Vorgeschichte seiner Aufnahme:<br />

1906 intervenierte der Quartierverein bei der städtischen Baudirektion, um die Erstellung<br />

eines Doppelwohnhauses durch Bernaschina, der bereits ein Grundstück besass, zu<br />

verhindern. Das geplante Haus, so der Quartierverein, würde die Umgebung verschandeln,<br />

nicht zu den angrenzenden kleinen Häusern passen und die bestehende Baulinie nicht<br />

einhalten. Bernaschina konnte das Haus aber wie geplant bauen und wurde schliesslich sogar<br />

in den Quartierverein eingebunden. 1919 und <strong>1920</strong> fanden zwei weitere vermögliche Italiener<br />

im Quartierverein Aufnahme (Conti und Callegari). 287<br />

Als roter Faden durch die Protokollbücher des Quartiervereins Bernstrasse ziehen sich an die<br />

Stadt gerichtete Infrastrukturanliegen: Behebung des ständigen Wassermangels (v.a. an der<br />

oberen Bernstrasse), Eindolung eines verschmutzten Baches, bessere Kanalisation - auf der<br />

Strasse lief der Kot "über dem Schuhwerk zusammen"-, ein neuer Strassenbelag und<br />

vermehrte Kehrichtabfuhr. Die "unentschuldbare Vernachlässigung" der Bernstrasse im<br />

Vergleich mit anderen Stadtteilen wertete der Quartierverein als schwere Schädigung der<br />

Hausbesitzer. Sie beklagten, dass "alle anständigen Leute" das Quartier verliessen, die<br />

Wohnungen leerstünden oder an "minderwertige Elemente" vermietet werden müssten. 288<br />

285 "Vom Gütsch zur Reuss", S. 116.<br />

286 Leider erhielt ich keinen Zugang zu den Protokollen des Quartiervereins "Wächter am Gütsch".<br />

287 Prot. Quartierverein Bernstrasse 5.8.1921. Aber auch als Mitglied wurde Bernaschina 1921 vom schriftlich<br />

gerügt, in seinem Haus für mehr Ruhe zu sorgen. Ausser Bernaschina rügte der Quartierverein nur ausserhalb<br />

des Quartiers wohnende Hausbesitzer, sie sorgten in ihrem Eigetum nicht für die nötige Ordnung.<br />

288 Prot. Quartierverein Bernstrasse 9.12.1896.<br />

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