DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
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früher oder später auseinanderfällt, das Parteiblatt in Luzern zugrundegeht und auch die Arbeiterunion<br />
des Kantons Luzern schweren Erschütterungen ausgesetzt wird." 186<br />
6.4. Radikale Strömungen in der Arbeiterbewegung<br />
Die Quartiergeschichte "Vom Gütsch zur Reuss" beschreibt den Untergrund als<br />
Quartier, "... in welchem die Leidenschaft der Benachteiligten bei Gelegenheit irrational<br />
aufflackerte". 187 Dass radikale Ideen im Untergrund auf fruchtbareren Boden fielen als<br />
anderswo, war indes kein Zufall. Am Beispiel der italienischen Bauarbeiter, der Luzerner<br />
Soldatenorganisation und der 3. Internationale lässt sich die Affinität sozialer<br />
Unterprivilegierung und radikalen Protests illustrieren.<br />
Die italienischen Fremdarbeiter hausten in den 90er Jahren noch in Baracken an der oberen<br />
Bernstrasse, die im Volksmund den Übernamen "Oberitalien" trug. 1895 gründeten<br />
italienische Maurer und Handlanger eine Gewerkschaft, die "Bandiera dei Muratori". 1897<br />
kam es zum Streik: fast 500 der 600 Luzerner Bauarbeiter traten in den Ausstand. Der<br />
Luzerner Gewerkschaftsbund stand dem Ausstand skeptisch gegenüber, unterstützte ihn aber<br />
schliesslich. 188 Die einheimischen Maurer- und Handlangergewerkschaften hatten bisher<br />
kaum italienische Mitglieder rekrutieren können. Die italienischen Gewerkschaften sträubten<br />
sich auch gegen einen Beitritt zur 1901 gegründeten Luzerner Arbeiterunion. Der<br />
Jahresbericht des Luzerner Arbeitersekretariats 1906 hielt den italienischen Maurern und<br />
Handlangern vor, sie liessen sich zu direkten Aktionen verleiten und schwärmten "für alles<br />
andere mehr als für eine richtige Organisation". Auch mit dem zum Ersten Mai propagierten<br />
Slogan "disziplinierte planmässige Organisation" hatte die Arbeiterunion die Italiener im<br />
Visier. Die wohnräumliche Konzentration der Italiener im Untergrund dürfte deren spontananarchistisches<br />
Streikverhalten und eigenwillige Gewerkschaftspolitik gefördert haben.<br />
Schliesslich gelang aber die Gründung einer italienischen Sektion der Maurer und Handlanger<br />
innerhalb der Arbeiterunion. 189 Dass eine berechenbare Gewerkschaftspolitik mit<br />
Schwergewicht auf Tarifverhandlungen für die Luzerner Gewerkschaftsführer auch nach dem<br />
Landesstreik noch Priorität hatte, zeigt ein vom März <strong>1920</strong> datiertes Gesuch des<br />
Arbeitersekretärs an den Regierungsrat um höhere Subventionen für das sozialdemokratische<br />
Arbeitersekretariat. Dessen Funktion umschrieb er damit, "... wilde Streiks zu verhüten,<br />
indem es Lohnbewegungen und Unterhandlungen in geregelte Bahnen bringt". Das Gesuch<br />
wurde abgelehnt. Das sozialdemokratische Arbeitersekretariat erhielt weiterhin trotz stärkerer<br />
Inanspruchnahme durch die Arbeiterschaft den gleichen Betrag wie das liberale und das<br />
christlichsoziale Arbeitersekretariat (1'000 Franken). 190<br />
186 Akten der Beschwerdekommission der SPS (Sozialarchiv Zürich 1.220.3).<br />
187 "Vom Gütsch zur Reuss", S. 74.<br />
188 Schmid, in: LNN 12.5.1973.<br />
189 Jb. des sozialdemokratischen Arbeitersekretariats 1906, S. 15-16.<br />
190 STARL 4/7/C. (Arbeitersekretariate).<br />
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