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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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Die zum männlichen Wehrkult stilisierte staatsbürgerliche Verantwortung in Kombination mit<br />

katholischer Familienideologie bildete das Substrat für ein Frauenbild, das auf der<br />

Ambivalenz idealisierender Verklärung und politischer Entrechtung beruhte. Die<br />

jungkonservativen "Turmwärter der katholischen Innerschweiz" pflegten als "Ritter unserer<br />

lieben Frau, der Himmelskönigin" einen verbalen Minnedienstjargon. 256 Die christlichsoziale<br />

Presse nahm speziell die Arbeiterfrauen in die moralische Pflicht: "Wahrlich, die<br />

Heranbildung eines tüchtigen Frauengeschlechts ist eine grosse vaterländische Tat ... Ist nicht<br />

gerade die Arbeiterin berufen, durch religiöse Erziehung Segen zu verbreiten?" 257 An einer<br />

Versammlung des christlichsozialen Gewerkschaftskartells wandte sich Pfarrhelfer<br />

Mühlebach aus Reussbühl gegen die Einführung des Frauenstimmrechts, da es "der Familie<br />

das Heiligste rauben" würde. Die Gewährleistung guter Kindererziehung und häuslichen<br />

Friedens hing für ihn von der Trennung der Geschlechterrollen ab. 258<br />

Auch dem Wirken der Seelsorger im Untergrund lag ein antistädtischer Impuls zugrunde:<br />

"Wie manche Seele - im Stadtleben drin - verkümmert, verhungert, geht verloren, weil man<br />

nicht auf die Sorge der Seele schaut", notierte Pfarrer Moos in einem Entwurf für eine<br />

Predigt. 259 Beat Keller, Religionslehrer und Subregens der Pfarrei, dämonisierte in seinen<br />

"Exerzitienvorträgen für ältere Kommunikanten" den städtischen Lebensraum anhand einer<br />

Anekdote als Sündenbabel.<br />

"Ein Priester, der hier in Luzern ist, begegnete in dieser Stadt einem Jüngling; der ging ohne Gruss an<br />

ihm vorbei, obwohl er ihn kannte und früher im katholischen Jünglingsverein war. Da redete der Priester<br />

ihn liebevoll an: 'oh, oh, was ist mit Dir?' - Antwort: 'Ich lese jetzt dieses Blatt' - er nannte eine ganz<br />

unchristliche, katholikenfeindliche Zeitung - 'jetzt halte ich nicht mehr mit den Katholiken'. Also: Er fällt<br />

ab vom Katholizismus, wird untreu der heiligen Kirche und ihren Priestern. Warum? Schlechte Zeitung,<br />

schlechte Schriften.- Ein einziges schlechtes Buch kann Euch und Euer Leben unglücklich machen. -<br />

Und nun, meine Lieben, Ihr seid jetzt schon und später noch mehr mitten drin unter schlechten, gottlosen<br />

und sittenlosen Menschen, die auch Euch verführen wollen - man bietet Euch an schändliche und<br />

religionslose Schriften, zum Kaufen, oder zum Geschenk, oder zum Leihen - wenn Ihr da nicht solid und<br />

stark Euren Mann stellt und jede schlechte Schrift mit Entrüstung von Euch weist: dann werdet Ihr Eure<br />

unsterbliche Seele nicht retten! Dann werdet Ihr verdorben, ruiniert, dann werdet Ihr wohl auch ewig<br />

verloren gehen - und wo ist dann Eure Seele?" 260<br />

Neben Drohung mit ewiger Verdammnis und politischer Indoktrination markierte die<br />

Vermittlung eines rigiden Arbeitsethos, asketischer Selbstbescheidung und subalternen<br />

Respekts vor übergeordneten Funktionsträgern den Orientierungsrahmen des<br />

256 "Tritt vor sie hin, vor die hohe Schutzfrau, im ganzen Ritterstaat deiner Jugendkraft und deines idealen<br />

Wollens und stelle die Frage: Herrin, was wünschest du? Sie wird erwiedern: Glaube! - Und dann schwing dich<br />

aufs Pferd und sprenge hinaus zum Tor. Die Strauchritter des Unglaubens warten schon draussen. Du weisst,<br />

was du bist und wem du dienst und was du gelobt: Hau ein!" (L 2/15.5.1917).<br />

257 LVB 31/1.8.1919.<br />

258 "Der Arbeiter" 6.9.1919.<br />

259 Epiphaniepredigt vom 9.1.1927 (Pfarreiarchiv St. Karl).<br />

260 Exerzitienvorträge von Regens Keller (Pfarreiarchiv St. Karl).<br />

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