DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
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Sozialdemokratie die Schaffung jungkonservativer Gruppierungen zum "Gebot der<br />
parteilichen Kriegsführung" avancierte. 345 Um <strong>1920</strong> bestanden erst in den Kantonen Luzern,<br />
St. Gallen und im Tessin jungkonservative Organisationen.<br />
Die erste politische Jugendorganisation ausserhalb der Jünglingsvereine war in Luzern 1903<br />
auf der Grundlage des konservativen Parteiprogramms unter der Bezeichnung "Amicitia"<br />
konstituiert worden. Die Mitgliederzahl stieg im ersten Jahr ihres Bestehens von 27 auf<br />
150. 346 In Abstimmungen und Wahlkämpfen profilierte sich die Amicitia als<br />
kulturkämpferische Vorhut der konservativen Partei. 347 1907 entstand ein Kantonalverband,<br />
der 1912 bereits 4'238 Mitglieder zählte. Nach vorübergehender vereinspolitischer Flaute bei<br />
Kriegsausbruch bestimmte zusehends ein virulentes sozialistisches Feindbild das<br />
Vereinsleben. Als Provokation wirkte, dass Willi Münzenberg, der Präsident der<br />
sozialdemokratischen Jugendorganisation der Schweiz, den im Zeichen des Antimilitarismus<br />
stehenden Zweiten schweizerischen Jugendtag an Pfingsten 1916 bewusst in Luzern - nach<br />
Münzenberg "eines der reaktionärsten und kirchentreusten" Gebiete der Schweiz -<br />
durchführte. 348 2'000 sozialistische Jungburschen zogen durch Luzern und sammelten sich<br />
anschliessend zu einer antimilitaristischen Kundgebung vor dem Telldenkmal in Altdorf. Die<br />
schockierten Jungkonservativen veranstalteten nachträglich eine "Sühnedemonstration" vor<br />
dem ihrer Ansicht nach entweihten Nationaldenkmal. 349<br />
An der Luzerner Kreistagung der katholischen Jungmannschaft 1916 rief Lorenz Rogger,<br />
Direktor des Hitzkircher Lehrerseminars, pathetisch zur Bekämpfung des Sozialismus, dessen<br />
Propaganda er Vorbildlichkeit attestierte, auf: "Katholisch Jung-Luzern! Willst du das<br />
katholische Luzerner Haus, willst du katholischen Grund und Boden dir stehlen lassen, aus<br />
lauter Gemütlichkeit? ... Durch den ganzen Kanton sollen Schützengräben gehen ... ." 350<br />
Die Bemühungen, die Jungkonservativen ins politische Geschehen einzubinden, bargen eine<br />
überkantonale Konfliktdimension. Anders als die Luzerner Konservativen lehnte der in der<br />
Diaspora verankerte Zentralverband der katholischen Jünglingsvereine mit Sitz in Zürich eine<br />
stärkere parteipolitische Schulung der Jungmannschaften ab. Der Richtungsstreit eskalierte,<br />
als einflussreiche Luzerner Konservative im Mai 1917 als Konkurrenz zum schweizerischen<br />
Organ der Jünglingsvereine, der "Schildwache", für die Luzerner Amicitien eine eigene<br />
345 Kopp, 25 Jahre Amicitia Luzern, S. 3.<br />
346 "Der Arbeiter" 2.1.1904.<br />
347 L 2/15.5.1921. Widmer (1983), S. 20.<br />
348 Zur Radikalisierung der linken Luzerner Arbeiterbewegung im Ersten Weltkrieg siehe Schelbert (1985), S.<br />
27ff.<br />
349 Münzenberg (1930), S. 178-180. Gesamtschweizerisch erhöhte die sozialdemokratische Jugendorganisation<br />
ihre Mitgliederzahl von 944 im Jahr 1914 auf 5'000 1917. Speziell starke Mitgliederzunahme stellte<br />
Münzenberg 1917 für die Zentralschweiz fest (S. 191). Klemenz Ulrich bestätigt dies: In seinen "Erinnerungen"<br />
(1973) schildert er, wie er nach einem Vortrag Münzenbergs in Emmenbrücke 1915 der Freien Jugend beitritt,<br />
die damals kaum ein Dutzend Mitglieder zählt. 1917 verzeichnete die Sektion Emmenbrücke bereits 70<br />
Mitglieder; zusätzlich waren Sektionen in Kriens, Luzern, Perlen-Root und Gerliswil entstanden. Der<br />
"Centralschweizerische Demokrat" lobte das Engagement der sozialistischen Jugend und deren Teilnahme am<br />
Parteileben während des Ersten Weltkrieges wiederholt als vorbildlich.<br />
350 Rogger, "Tagwacht", Referat an der Kreistagung der luzernischen Jungmannschaft vom 10.9.1916.<br />
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