DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
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Linkssozialist Otto Volkart, damals noch Lokalredaktor des "Centralschweizerischen<br />
Demokraten". In seinem Beitrag "Sind wir religionslos?" charakterisierte er echte Sozialisten<br />
als Feinde der christlichen Kirche; religiös seien sie nur insofern, als sie eine pantheistische,<br />
"geistige und seelische Verbundenheit mit dem Weltall" pflegten. Kernelemente der<br />
christlichen Sittenlehre wie Demut, Reinheit, Selbstlosigkeit und Mitleid liess Volkart aber<br />
als Tugenden bestehen. 264<br />
Eine Woche vor dem Buss- und Bettag vom 19.9.<strong>1920</strong> verlasen die Pfarrer von den Kanzeln<br />
herab das Bettagsmandat der Schweizer Bischöfe gegen den Sozialismus, das die Katholiken<br />
zum Austritt aus sozialistischen Organisationen - wozu auch der Grütliverein gezählt<br />
wurde - aufforderte. 265 Der "Centralschweizerische Demokrat" verurteilte das Bettagsmandat,<br />
ohne ihm grossen Stellenwert beizumessen. Eine ebenso massive Gegenreaktion wie z.B. die<br />
Aufforderung zum Kirchenaustritt blieb aus. Einzig in einem Artikel des "Arbeiterblatts" von<br />
Ende 1921 stiess ich auf die explizite Aufforderung zum Kirchenaustritt. Anlässlich eines<br />
Vortrages eines Basler Genossen über "Christentum und Sozialismus" hatten Teilnehmer in<br />
der anschliessenden Diskussion die Haltung der Luzerner Kirche den Sozialisten gegenüber<br />
als besonders intolerant geschildert. Der Berichterstatter brachte im "Arbeiterblatt" die Idee<br />
ins Spiel, religiöse Laienvorträge zu organisieren, um "unseren Genossen den Austritt aus der<br />
Kirche leichter zu gestalten". 266 Eine Woche später kritisierte ein Einsender einen Teil der<br />
SP-Führung, sie biedere sich aus Opportunismus der Kirche an. Bei Sozialdemokraten kamen<br />
Kirchenaustritte im Gegensatz zu den Kommunisten (z.B. Klemenz Ulrich) selten vor. 267<br />
Viel Konfliktstoff zwischen Kirche und Arbeiterbewegung bot nach dem Weltkrieg der<br />
Religionsunterricht. Die Bundesverfassung von 1874 hatte den obligatorischen<br />
Religionsunterricht aufgehoben und das Schulwesen als konfessionell neutral definiert. Dies<br />
widersprach dem Standpunkt der konservativen Regierung im Kanton Luzern. So erhielt das<br />
1879 verabschiedete kantonale Erziehungsgesetz ein stark konfessionelles Gepräge; der<br />
Religionsunterricht wurde dem Kompetenzbereich der Kirche anheimgestellt; der Bischof<br />
arbeitete den Lehrplan aus. In den Gremien der Schulpflege hatten die Pfarrer eine zentrale<br />
Stellung inne. 268 In der Stadt Luzern war die Aufnahme von Geistlichen in den fünfköpfigen<br />
264 CD 9.5.1919.<br />
265 Hirtenschreiben der Schweizer Bischöfe, in: SKZ 38/23.9.<strong>1920</strong>. Die für die Seelsorger in der "Instructio ad<br />
Clerum universum Helvetiae" erlassenen Richtlinien zur Durchführung des Bettagsmandats empfahlen<br />
wiederholtes Verlesen in der Kirche und Hausbesuche als Mittel der Abwerbung. Bei drohendem Massenaustritt<br />
aus der Kirche, wie er allenfalls in den industriellen Zentren möglich sei, müsse vorsichtig agiert werden. Zudem<br />
warnten die Richtlinien davor, dass sozialistische Eltern unter Umständen ihre Kinder vom Religionsunterricht<br />
fernhalten könnten (SKZ 37/16.9.<strong>1920</strong>). Zu Vorkommnissen rund um das Bettagsmandat finden sich leider<br />
keine schriftlichen Zeugnisse in den Luzerner Pfarreiarchiven. Dass der Zusammenbruch der<br />
Textilarbeitergewerkschaft der Viscose 1921 mit ihm in Zusammenhang stand, ist Spekulation. Zu<br />
Massenaustritten aus sozialistischen Gewerkschaften und der SP kam es nicht.<br />
266 AB 29.10.1921.<br />
267 Ulrich (1973), S. 88.<br />
268 Hafner (1991), S. 67. Hofer (1924), S. 141.<br />
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