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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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Für geschäftliche Standortentscheide stehen generell Zentralität und repräsentative Lage im<br />

Vordergrund, wobei deren Bedeutung je nach Branche variiert. 74 Dass angesichts der für<br />

Ärzte besonders wichtigen Wohnstandortorientierung75 der Patienten noch <strong>1920</strong> nur ein Arzt<br />

im Untergrund wohnte, überrascht. Dass viele unterprivilegierte Quartierbewohner auf den<br />

Armenarzt angewiesen waren, reicht als Erklärung nicht aus.<br />

An der Tertialisierung hatte der Untergrund nur einseitigen Anteil. Banken und<br />

Versicherungen, in Luzern eh schwach vertreten, fehlten gänzlich. Ausschliesslich<br />

geschäftlich genutzte Gebäude zählte der Untergrund 1897 nur fünf, am wenigsten von allen<br />

Quartieren (am meisten die Kleinstadt mit 24). 76 Zwei traditionell in der St.-Jakobs-Vorstadt<br />

verwurzelte Geschäfte entwickelten sich um die Jahrhundertwende zu bedeutenden<br />

Handelshäusern: die Spezerei Hochstrasser (1852 gegründet) und die Eisenhandlung<br />

Bielmann. Schlossermeister Leonz Bielmann hatte 1829 eine Nagelhandlung gegründet,<br />

produzierte Glocken und betrieb Eisenwarenhandel. 77 Seine Erben visualisierten den<br />

geschäftlichen Erfolg: Zum 75jährigen Jubiläum 1904 errichteten sie ein Wohn- und<br />

Geschäftshaus mit 800 Quadratmetern Verkaufsfläche und 40 Wohnungen. 100 Angestellte<br />

arbeiteten auf acht Etagen. Der präziöse, mit Turmhauben, verzierten Erkern, Reliefs und<br />

Fenstergiebeln ausgestattete Jugendstilbau erregte öffentlichen Anstoss, weil die Pilaster in<br />

Form nackter Figuren geschaffen waren. 78 Die Aufrichte-Feier bot Anlass zu folgendem<br />

Reim: "Das neue Haus ist aufgericht - Und hat von allen Seiten Licht - Ein schöner Bau, so<br />

gross und weit - Und praktisch nach der neuen Zeit - Verzögerung gab es beim Beginn -<br />

Wegen Streik der Tschinggen im Tessin - Die Steine kamen lang nicht an - Weil dorten<br />

schaffte nicht ein Mann." 79 1912/13 baute Hochstrasser das Haus zum Baslertor, das in<br />

seinem heroisch-trutzigen Stil an eine Burg erinnerte (erstes Luzerner Betonhaus, siehe<br />

Anhang 67). 80<br />

Die Analyse der Dienstleistungsstruktur macht evident, dass der Untergrund im Zuge der<br />

städtischen Nutzungsdifferenzierung an der Entwicklung des linken Ufers um die<br />

Jahrhundertwende zum Dienstleistungs- und Gewerbezentrum - das rechte Ufer verstärkte<br />

seinen Charakter als Fremdenverkehrs-, Laden- und gehobene Wohnzone - kaum<br />

partizipierte. Er blieb einer autarken, auf Subsistenzbedürfnisse ausgerichteten<br />

Dienstleistungsstruktur verhaftet. Prestige- und renditearme Nutzungsarten dominierten. Die<br />

tiefen Mietpreise für Geschäftslokale förderten die funktionelle Differenzierung. Nach<br />

74 Heineberg (1987), S. 295.<br />

75 Für Münster und Dortmund nachgewiesen in: Heineberg (1987), S. 267-302.<br />

76 Pietzcker (1898), S. 60.<br />

77 100 Jahre Bielmann.<br />

78 LT 23.10.1970.<br />

79 Graphiksammlung (Zentralbibliothek Luzern).<br />

80 LT 21.6.1975.<br />

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