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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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Das Umzugsvolumen war in den peripheren Quartieren Luzerns mit ihrem minderen sozialen<br />

Gepräge höher als im Stadtzentrum. Pietzcker ermittelte für den Untergrund mit 41,9% den<br />

höchsten Anteil innerhalb eines Jahres (1896/1897) gewechselter Wohnungen. Etwas mehr<br />

Wohnungen waren seit 1-10 Jahren vom gleichen Haushalt belegt, 13,2% seit über 10 Jahren.<br />

Wenn man sich vor Augen hält, dass in Luzern jährlich ein Drittel aller Haushalte umzog,<br />

wird deutlich, dass dem minoritären Bevölkerungsteil mit einer Langzeitsesshaftigkeit von<br />

mehr als 10 Jahren eine äusserst mobile Bevölkerungsmehrheit gegenüberstand, die im<br />

gleichen Zeitraum - theoretisch betrachtet, d.h. unter Ausschluss der Bevölkerungsfluktuation<br />

- drei- bis viermal die Wohnung wechselte. 46<br />

Die Auswertung der städtischen Steuerregister 1910 und <strong>1920</strong> hinsichtlich der Sesshaftigkeit<br />

von 10 Jahren und mehr im gleichen Haus (bei Pietzcker Wohnung) ergab eine Quote in der<br />

Grössenordnung Pietzckers: 109 der total 643 Steuerpflichtigen der Baselstrasse, Bernstrasse,<br />

Sagenmattstrasse und der Reussinsel wohnten <strong>1920</strong> noch an der gleichen Adresse; 128 lebten<br />

inzwischen in einer anderen Wohnung an der gleichen Strasse, und nur 39 hatten innerhalb<br />

des untersuchten Gebietes die Strasse gewechselt. Sesshaft im Quartier waren insgesamt<br />

etwas über ein Drittel der Steuerpflichtigen. Die Sesshaftigkeit im gleichen Haus war an der<br />

Bernstrasse (ein Drittel der Sesshaften) etwas höher als an der Baselstrasse. An der<br />

Bernstrasse wechselte bloss jeder vierte innerhalb des Quartiers Umziehende die Strasse, an<br />

der Baselstrasse jeder dritte. Pietzcker berechnete eine Langzeitsesshaftigkeit von über 20<br />

Jahren von 8,2% für die Periode 1877-1897. Der Vergleich der Steuerregister 1891 und 1910<br />

ergab einen Anteil deutlich unter 5%. Obwohl dieser Rückgang zum Teil auf den Auszug<br />

alteingesessener Hausbesitzer zurückzuführen ist, blieb der Anteil Hausbesitzer an der<br />

zwischen 1910 und <strong>1920</strong> sesshaften Quartierbevölkerung mit über einem Fünftel<br />

überdurchschnittlich. Die Vorstellungen der Hausbesitzer über die Gestaltung, den Charakter<br />

des öffentlichen Quartierraums prallte mit dem Sozialverhalten einer stark fluktuierenden,<br />

unterschichtigen Bevölkerung zusammen (siehe Kap. 9.2. Quartierverein Bernstrasse).<br />

Im Zusammenhang mit der hohen Bevölkerungsfluktuation steht auch, dass Wirtschaften im<br />

raschen Wechsel der Gesichter zu rituellen, Kontinuität vermittelnden Orientierungspunkten<br />

mit spezifischem Charakter wurden. Parteien, einzelne Berufsgruppen und die Italiener<br />

verfügten über Stammlokale.<br />

Die Quartiergeschichte "Vom Gütsch zur Reuss" bildet 40 "bedeutende Quartiereinwohner"<br />

ab, Geschäftsleute, Fabrikanten, Beamte, Politiker und Akademiker. Doch wohnten diese<br />

auch im Untergrund? Jene 35 Personen, die nach 1890 starben, habe ich in drei Stichjahren<br />

auf ihre Wohnadresse hin untersucht (1890, 1911, 1923). Die Maximalzahl von 73 möglichen<br />

positiven Identifikationen (= Adresse im Untergrund) wurde bei weitem nicht erreicht,<br />

sondern lediglich 33. Nur drei Personen wohnten an allen drei Stichjahren im Untergrund, u.a.<br />

der Sigrist der Sentikirche und Holzhändler Baptist Meyer, liberaler Grossstadtrat seit 1895<br />

und zusätzlich Grossrat seit 1903, von der Quartiergeschichte "Vom Gütsch zur Reuss" als<br />

46 Schüpbach (1983), S. 151.<br />

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