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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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als Werdegang vom "Sozialpolitiker", der früher noch mit den Arbeitern im Volkshaus<br />

diskutiert habe, zum "Fabrikprotz" skizziert. 119<br />

1924 titelte das "Zentralschweizerische Arbeiterblatt" 120 "Pascha-Wirtschaft", als eine<br />

Betriebsversammlung mit 150 Teilnehmern einwilligte, sechs Monate lang 52 Stunden zu<br />

arbeiten, falls keine Lohnreduktion erfolge. Damit war die inzwischen gesetzlich verankerte<br />

48-Stunden-Woche kampflos preisgegeben. 121 In einem Schreiben an den SMUV titulierte<br />

Zimmerli die Schindler-Belegschaft als "hinterwäldlerisch". 122 Auch 1925 konnte Schindler<br />

dank Ausnahmebewilligungen teilweise 52 Stunden arbeiten lassen. Da Schindler keine<br />

Lohnreduktionen vorgenommen und die Belegschaft seit April 1924 um 40 Mann auf 354<br />

aufgestockt habe, sei es verständlich, so Stähli, dass Schindler mit seiner "feigen Brut" keine<br />

Differenzen zu befürchten habe. 123<br />

Solidaritätshemmende Wirkung auf die Arbeiterschaft entfaltete auch ein ausgeklügeltes<br />

Akkordlohnsystem. Ein vom 7. Januar 1921 datierter Brief einer Luzerner "Arbeiterfrau und<br />

Mutter" an die SMUV-Zentrale, der sich über einen antiklerikalen Artikel im "Metallarbeiter"<br />

beschwert, illustriert dies.<br />

"... an Gehässigkeiten und Nörgeleien waren wir ja bald gewöhnt, aber unsere Geistlichkeit angreifen<br />

lassen wir nicht, wenn wir auch nur Arbeiterleute sind und beide dem Verdienst nachgehen. Sie schreiben<br />

unter anderem, unsere Geistlichen haben die Waffen gesegnet und vergessen dabei, dass diese Waffen<br />

auch von den Sozialisten gemacht wurden ... Zu Tausenden wurde Tag und Nacht gearbeitet und jeder<br />

Rappen, den einer mehr im Akkord verdiente, von dem anderen Genossen neidisch vergönnt - da sehen<br />

Sie - wenn zwei dasselbe tun. ... Wäre ich ein Mann und hätte die Bildung zum Artikel schreiben, würde<br />

ich es machen, aber bin nur ein Weib und wurde nicht dazu geschult, aber eines kann ich, meine Buben<br />

recht erziehen, dass es auch rechte Menschen gibt, keine Gottesleugner und keine Volksbeglücker der<br />

modernen Freiheit, die doch keine Freiheit ist, sondern: 'Willst Du nicht mein Bruder sein, schlag ich Dir<br />

den Schädel ein!' So ungefähr sieht es aus, solange sie in ihrem Sozialismus nicht untereinander<br />

auskommen können, 99 verschiedene Richtungen habt, dem andern jede Lohnerhöhung vergönnt...<br />

Kremation von dem 'Metallarbeiter' hat schon stattgefunden, dieser Artikel hat ihn umgebracht in unserer<br />

Familie und wo ich nur kann." 124<br />

Diese bitterböse Schilderung des Arbeitsalltags in der Metallindustrie kann ohne weiteres<br />

direkt auf Schindler gemünzt sein. Sie macht auch die Verklammerung sozialer Not und<br />

ideologischen Wildwuchses bei Kriegsende deutlich.<br />

Damals begann die liberale Partei, eigene Arbeiterorganisationen zu schaffen. Schindler war<br />

1918 massgeblich an der Gründung eines liberalen Arbeitersekretariats beteiligt (Eröffnung<br />

am 1. Juli 1918), das sich der "nationalen Pflicht" verschrieb, die "kleinen Leute" dem<br />

"Bazillus proletarius" zu entreissen. In den ersten 15 Monaten seiner Tätigkeit vermittelte der<br />

liberale Arbeitersekretär etwa 900 Arbeitsuchende an Luzerner Industriebetriebe. Eine<br />

119 Laut "Kämpfer" vom 21.8.1924 führte Schindler auch Listen mit der Parteibezeichnung seiner Belegschaft<br />

und stellte dieser die bürgerliche Presse gratis zu .<br />

120 So hiess die neu als Kopfblatt des Zürcher "Volksrechts" herausgegebene Luzerner Arbeiterzeitung ab<br />

Anfang 1921.<br />

121 AB 6.9.1924.<br />

122 Schreiben an den SMUV vom 9.8.1924 (SMUV-Archiv).<br />

123 SMUV an Zimmerli (9.9.1925).<br />

124 SMUV-Archiv Bern.<br />

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