08.01.2013 Aufrufe

DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Auch die politischen und soziokulturellen Begleiterscheinungen der Zuspitzung negativer<br />

sozialräumlicher Bedingungen wurden sichtbar. Die Verschlechterung des Sozialprestiges des<br />

Untergrundquartiers stand in Wechselbeziehung mit der Entwicklung zum Ausländer- und<br />

Industriequartier ab den 90er Jahren. Die Segregation und das soziale Stigma des Quartiers<br />

verschärften sich synchron.<br />

Die freie Arbeiterbewegung agierte angesichts der Omnipräsenz des katholischen Milieus in<br />

Luzern aus der Defensive. Die SP - deren Verhältnis zur italienischen Kolonie nicht immer<br />

unproblematisch war - rückte im Untergrund nach dem Ersten Weltkrieg folgerichtig zur<br />

stärksten Partei auf. In der Parteielite kaum vertreten und von dieser bisweilen paternalistisch<br />

behandelt, blieb der Untergrund aber selbst innerhalb der Arbeiterbewegung Stiefkind. Mit<br />

Ausnahme des Kreisvereins Untergrund verfügte die unterschichtige Arbeiterbevölkerung im<br />

Untergrund aber über keine institutionalisierten Kanäle der Interessenvertretung. Im<br />

Gegensatz zu Aussersihl, wo Auszüge in wohlhabende Quartiere die Opposition gegen den<br />

bürgerlichen Staat signalisierten, vermochte die Arbeiterbewegung im Untergrund die<br />

Quartiergrenzen nicht zu "sprengen". 358 Die Arbeiterbevölkerung prägte die kollektive<br />

Quartieridentität dazu zu wenig, verschiedene Interessengruppen rivalisierten im Quartier. So<br />

blieb das Arbeiterquartier als soziokultureller Faktor weitgehend stumm. Die unterschichtige<br />

Arbeiterbevölkerung verharrte - nomen est omen - im 'Untergrund'. Dass radikale<br />

Splittergruppen im Untergrund über etwas grösseren Anhang verfügten, änderte daran nichts.<br />

Etwa lässt sich für Luzern auch nicht nachweisen, dass der Landes-Generalstreik wie in<br />

Zürich vom Arbeiterquartier ausging. 359<br />

Die Bereitstellung moderner kirchlicher Infrastruktur (Kirchenbau) in Luzern in den ersten<br />

Jahrzehnten des 20. Jh. ermöglichte den Ausbau des kirchlichen Vereinswesens in den<br />

Quartieren. Der Bedeutungszuwachs der einzelnen Pfarreien wertete die Funktion der Kirche<br />

als Hüterin und Vermittlerin geistig-moralischer Werte auf. Der karitativ-sozialhygienische<br />

Diskurs in Zusammenhang mit dem Kirchenbau insinuierte der Bevölkerung des Untergrunds<br />

Rückständigkeit. Auch den Religionsunterricht prägte die Vermittlung eines schuldhaften<br />

unterschichtigen Sozialstatus.<br />

Strukturelle Chancenungleichheit benachteiligte die unterprivilegierte Quartierbevölkerung<br />

im Bildungsbereich. Das Vereinswesen, das sich erst nach dem Ersten Weltkrieg ethnisch zu<br />

durchmischen begann, zeichnete sich, ähnlich wie die Dienstleistungsstruktur, durch eine<br />

gewisse Autarkie aus. Führungspositionen in städtischen Vereinen bekleideten auch die<br />

besser situierten Quartierbewohner kaum. Im Quartierverein Bernstrasse erhob sich eine<br />

kleinbürgerliche Hausbesitzerschicht zum sozialen Ordnungsfaktor. Je mehr der Quartierruf<br />

litt, desto schärfere Repression bis hinein in die Privatsphäre übte sie gegen unterschichtige<br />

Arbeiter und Italiener aus.<br />

358 Fritzsche (1986), S. 60.<br />

359 Fritzsche (1986), S. 60.<br />

99

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!