DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
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gleichfalls 1918 im Schoss der liberalen Partei unter der Bezeichnung "Sozialpolitischer<br />
Volksbund" geschaffene Arbeitervereinigung soll 1921 383 Mitglieder gezählt haben. 125 Im<br />
allgemeinen blieben aber die freisinnigen Arbeiterorganisationen in der organisierten<br />
Arbeiterbewegung isoliert. Bei freien wie christlichsozialen Gewerkschaften war die<br />
Zusammenarbeit mit den wenigen liberalen Gewerkschaftssektionen (Landesverband freier<br />
Schweizer Arbeiter) verpönt, denn sie galten als Streikbrecherorganisationen. 126<br />
Fabrikgründer Robert Schindler hatte sich - wie eine nicht geringe Anzahl wirtschaftlicher<br />
Aufsteiger auch - ab den 90er Jahren zu Wohlstand emporgearbeitet. 1890-1902 hatte sich<br />
sein steuerbares Vermögen verzehnfacht (von 15'000 auf 150'000 Franken). Bis 1910<br />
verdoppelte es sich nochmals auf 300'000 Franken. Damit gehörte Robert Schindler aber nicht<br />
zum Kreis der 30 reichsten Luzerner, die alle über 500'000 Franken Vermögen<br />
versteuerten. 127 Die Vermögensentwicklung Alfred Schindlers hingegen im Jahrzehnt des<br />
Ersten Weltkriegs war völlig atypisch. Die Vermutung, dass er zu einer kleinen Gruppe von<br />
Produzenten gehörte, die massiv Kriegsgewinne einstrich, bestätigt seine in den städtischen<br />
Steuerregistern ausgewiesene Vermögensentwicklung. 1910-<strong>1920</strong> versiebenfachte sich sein<br />
steuerbares Vermögen (1902: 20'000 Franken, 1908: 30'000 Franken, 1910: 117'000 Franken;<br />
<strong>1920</strong>: 829'500 Franken). Zum Vergleich: Das gesamtstädtische Vermögenssteuerkapital<br />
wuchs 1910 bis <strong>1920</strong> lediglich um 32% (1900-1910 noch 60%); viele Besitzstände<br />
stagnierten (Verteilungsmuster städtischer Vermögen nach Grössenklassen 1899-<strong>1920</strong> siehe<br />
Anhang 23). An der Inneren Baselstrasse z.B. gingen die steuerbaren Vermögenswerte von<br />
über einer Million Franken 1910 auf knapp 384'000 Franken <strong>1920</strong> zurück. <strong>1920</strong> gehörte<br />
Schindler zu den sieben Reichsten im Hofquartier. Dort versteuerten 1910 20 Personen ein<br />
Vermögen über 300'000 Franken, <strong>1920</strong> waren es nur drei mehr. Die Summe ihrer Vermögen<br />
erhöhte sich nur unwesentlich. Die Zuwachsraten betrugen zwischen minus 8% (Schriftsteller<br />
Carl Spitteler) und plus 58%. 128<br />
Die sozialen Auswirkungen der Kriegsgüterproduktion - im wesentlichen unqualifizierte<br />
Arbeit - wurden vom liberalen Arbeitersekretär fast zehn Jahre nach Kriegsende sehr negativ<br />
bewertet.<br />
"Wir verspüren immer wieder die Folgen der Zeit der Munitionsindustrie, in der sozusagen niemand zu<br />
einem Berufe überging, sondern sich, vielfach durch die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Familien<br />
gezwungen, diesen gutbezahlten Hilfsarbeiterstellen zuwendete und so zu alt wurde zur Erlernung eines<br />
Berufes. In sehr vielen Fällen hat die gutbezahlte Tätigkeit in der Munitionsfabrikation auch moralische<br />
Schädigungen hinterlassen, so dass sie (die unqualifizierten Arbeiter, d.V.) für eine Lehre ungeeignet<br />
wurden." 129<br />
125 Prot. des freisinnigen Parteikomitees der Stadt Luzern ab 1918 (SAL F.21.3.) 3. Tätigkeitsbericht des<br />
freisinnig-demokratischen Arbeitersekretariats. Leider wurde mir der Zugriff auf die Mitgliederliste des<br />
Sozialpolitischen Volksbundes vom liberalen Parteisekretariat verwehrt.<br />
126 LVB 8.2.1919 und 28.2.<strong>1920</strong>.<br />
127 Brunner (1981), S. 88. Städtische Steuerregister 1891, 1910 und <strong>1920</strong> sowie gedruckte Auszüge aus den<br />
Steuerregistern 1902 und 1908.<br />
128 Städtische Steuerregister 1910 und <strong>1920</strong>.<br />
129 Tätigkeitsbericht des liberalen Arbeitersekretariats Luzern 1926/27.<br />
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