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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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Zusätzlich zu den bisherigen gesamtstädtischen sozialdemokratischen Organisationen<br />

(allgemeiner Arbeiter- und Arbeiterinnenverein, Grütliverein, sozialdemokratischer<br />

Abstinentenbund, tessinische und italienische Sozialisten Luzerns) entstanden ab 1905 in den<br />

Quartieren SP-Kreisvereine. Strassenchefs organisierten und überwachten die politische<br />

Agitation direkt an der Basis. Listen mit der Parteizugehörigkeit der Quartierbevölkerung<br />

standen ihnen zur Verfügung. Die Optimierung der politischen Arbeit in den Quartieren nahm<br />

in den SP-Kreisvereinssitzungen breiten Raum ein. Auch der im Vergleich mit Zürich oder<br />

Basel - allerdings Städte mit älterer SP-Tradition - schlechte Versammlungsbesuch bot<br />

ständig Anlass zu Diskussionen. Die Basis des Kreisvereins Moos äusserte sporadisch Unmut<br />

darüber, dass die SP-Behördenvertreter - die Parteielite also - selten an den<br />

Kreisvereinssitzungen teilnähmen.<br />

Die systematische propagandistische Bearbeitung des Stimmvolks veranschaulicht auch ein<br />

Dokument konservativer Provenienz. Die "vertraulichen" Direktiven an die Kreis- und<br />

Bezirkspräsidenten für die Wahlkampfvorbereitungen 1930 skizzieren die konservative<br />

Wahlkampfstrategie im Arbeiterquartier.<br />

"Bis 30. Juni 1930 müssen alle Zweifelhaften und zu Gewinnenden aufgesucht sein. Es darf bis dahin die<br />

Parteizugehörigkeit keines Stimmfähigen mehr unbekannt sein, soweit dies überhaupt möglich ist ... Die<br />

Grundlage der Organisation bildet die Zuteilung der Strassen an Strassenchefs wie bisher ... Bei der<br />

Arbeiterbevölkerung lassen sich namentlich noch Eroberungen machen. Hier sind hauptsächlich die<br />

Christlichsozialen zu verwenden. Je nach Situation können selbstverständlich auch Christlichsoziale als<br />

Strassenchefs funktionieren. Zur Hauptsache wird aber die ausschliessliche Verwendung derselben bei<br />

der Arbeiterbevölkerung vorteilhafter sein ... Bis zum 28. Februar sind von den Bezirkschefs den<br />

Kreispräsidenten und von diesen dem Parteisekretariat die Listen derjenigen einzugeben, welche bei der<br />

Wahl vom November 1929 nicht gestimmt haben. Bei jedem ist nach Möglichkeit der Grund anzugeben.<br />

Diese Parteiangehörigen sind besonders zu bearbeiten, aber in sehr taktvoller Weise." 167<br />

Politische Pressionen griffen allerdings in den Dörfern der Landschaft angesichts der<br />

Geschlossenheit des dörflichen Milieus tiefer in die individuelle Existenz ein als in der Stadt.<br />

Folgende Episode mag dies verdeutlichen: 1923 erschütterte ein Politskandal, der in den<br />

Schweizer Medien hohe Wellen aufwarf, die kleine Gemeinde Knutwil (905 Einwohner).<br />

1919 hatten die Liberalen erstmals die Gemeinderatswahlen knapp gewonnen. Für die Wahlen<br />

1923 setzten sich die Konservativen die Rückeroberung der absoluten Mehrheit zum Ziel.<br />

Zwei Monate vor dem Wahlgang stieg die Zahl der Stimmberechtigten sprunghaft um über<br />

20% an. Binnen kurzer Zeit hatten 141 Zuzüger bzw. konservative Wahlknechte ihre<br />

Schriften auf der Gemeindekanzlei deponiert. 168 Die Liberalen versuchten zwar noch, mit<br />

eigenen Wahlknechten nachzuziehen; die Konservativen gewannen aber die Wahlen knapp.<br />

Der Luzerner Regierungsrat genehmigte die Wahlen, doch das Bundesgericht annulierte sie<br />

schliesslich aufgrund eines Rekurses der Liberalen. 169<br />

167 CVP-Archiv: PA 40/1815.<br />

168 VS 11/17.3.1923.<br />

169 Bundesgerichtsurteil vom 23.11.1923, in: Entscheidungen des Bundesgerichts 1923, Bd. 49, S. 416-439.<br />

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