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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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Pfarrei St. Paul erhöhte sich der Durchschnitt von sechs Kommunionen 1919 auf zehn im Jahr<br />

1929. Im Stadtzentrum wurde mehr kommuniziert als in den peripheren Quartieren, auf der<br />

rechten Stadtseite mehr als auf der linken: Der Pfarrer von St. Leodegar spendete 1916 und<br />

1919 durchschnittlich 19 Kommunionen pro Person, jener der Kleinstadtpfarrei St. Maria<br />

1916 im Mittel sechs, 1923 zehn und 1929 elf. Bevölkerungsmässig mit den städtischen<br />

Pfarreien vergleichbare Dörfer der Landschaft - etwa Escholzmatt, Ruswil, Willisau und<br />

Hochdorf - wiesen mit durchschnittlich 11 bis 17 Kommunionen 1912-1926 nur geringfügig<br />

höhere Werte auf als die Stadt. Ein Grund für die überraschend tiefe Anzahl gespendeter<br />

Kommunionen dürfte in der damals üblichen Praxis der Generalkommunion liegen. 239<br />

Der Aufbau einer Kartei zwecks seelsorgerlicher Hausbesuche im Untergrund endete für<br />

Pfarrer Moos bald mit einem Fehlschlag: Er musste die Hausmission aufgegeben, weil er von<br />

der Quartierbevölkerung mehrheitlich feindselig empfangen wurde. Ein "Grossteil der<br />

Familien" stehe dem Priester fremd gegenüber, vermerkt Pfarrer Moos im Visitationsbericht<br />

von 1929; antiklerikale Zeitungen seien im Quartier weit verbreitet, und in vielen Familien<br />

herrsche religiöse Indifferenz. Streng religiöse Familien waren im Untergrund eine kleine<br />

Minderheit. 240 Den Besuch des Religionsunterrichts durch die Kinder bewertete Moos als gut,<br />

ebenso das Verhältnis zwischen Geistlichkeit und Lehrerschaft. 241 Als einziger städtischer<br />

Pfarrer erwähnte er Trunksucht als quartierspezifisches Problem (1929). 242<br />

Traditionelles religiöses Brauchtum im Untergrund war die jährlich stattfindende, bei der<br />

Quartierbevölkerung mehrheitlich beliebte Sentiprozession. Eine Fotografie zeigt die<br />

Prozession beim Durchzug durch das sogenannte Schnepfengestell, eine Ansammlung<br />

ärmlicher Häuschen hinter dem Waisenhaus zwischen Baselstrasse und Reuss (1912<br />

abgerissen). Girlanden schmücken die Behausungen (siehe Anhang 66). Einen ausschliesslich<br />

klassenkämpferischen Blick richtete der linksradikale Lokalredaktor Otto Volkart auf die<br />

Sentiprozession: begleitet von Militär mit aufgepflanzten Bajonetten sowie<br />

"Studentenclowns" als Vertretern der Bildung, böte sie ein Bild "abgetakelter<br />

Geschmacklosigkeit". 243<br />

7.2. Laizistisch-städtische Alltagskultur versus katholischer Antimodernismus<br />

Das weltanschauliche Fundament der katholischen Kirche und der konservativen Partei<br />

basierte auf den päpstlichen Enzykliken des 19. Jh.: "Quanta cura" (1864) hatte den<br />

Liberalismus verurteilt und im "Syllabus errorum" einen Katalog von 80 mit dem<br />

katholischen Glauben unvereinbaren Sätzen postuliert; "Rerum novarum" Leos XIII. (1891)<br />

239 Visitationsberichte (Diözesanarchiv Solothurn).<br />

240 Mündliche Auskunft von Jacob Scherrer.<br />

241 1932 allerdings ein verbaler Seitenhieb auf die Lehrerinnen, die im Gegensatz zu ihren männlichen<br />

Kollegen den Gottesdienst nicht immer besuchten. Im Visier hatte Moos vermutlich Josefine Helbling, Luzerner<br />

Sozialistin und Lehrerin, die u.a. mit Angelika Balabanoff befreundet war.<br />

242 Visitationsberichte (Diözesanarchiv Solothurn).<br />

243 CD 21.6.1919.<br />

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