DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ein Drittel aller in der Branche Beschäftigten. 70 Viele Frauen arbeiteten an Maschinen für die<br />
Munitionsproduktion. Nach Kriegsende verharrte ein Teil der Frauen in den Fabriken, was<br />
sich im Steuerregister <strong>1920</strong> widerspiegelt (<strong>1920</strong>: 171, mehrheitlich ledige Frauen; zum<br />
Vergleich: 1891: 40 Frauen im Steuerregister, 1910: 69). Ab 1915 schnellte die Zahl der<br />
Ausnahmebewilligungen für Überzeit-, Nacht- und Sonntagsarbeit in die Höhe (siehe Anhang<br />
20). Entsprechend erhöhte sich die Zahl der Fabrikunfälle und erreichte 1917 den Rekordwert<br />
von 1'153. Der Fabrikinspektor rügte die Luzerner Regierung wegen Versäumnissen,<br />
insbesondere ungenügenden Kontrollen, beim Vollzug des Bundesratsbeschlusses vom<br />
30. April 1917, der die Arbeitszeit in den Fabriken neu geregelt und die kantonalen<br />
Kompetenzen eingeschränkt hatte: "So kam es, dass wir namentlich im Kanton Luzern bis in<br />
den Sommer und Herbst 1918 hinein noch Fabriken mit ganz ungesetzlicher Arbeitszeit<br />
trafen, an der sie bis dahin niemand gestört hatte." Dass die Behörden 1918 und 1919 nur<br />
zwei Strafen wegen Verletzung des Fabrikgesetzes ausfällten, deutete für den Fabrikinspektor<br />
darauf hin, dass in Luzern Gesetzesübertretungen zu mild geahndet wurden. 71 Die Luzerner<br />
Regierung wertete ihre Bewilligungspraxis für Überzeitarbeit, die weitgehend der<br />
Kriegsmaterialproduktion zugute kam, selber als "fast ein wenig zu liberal", rechtfertigte sie<br />
aber mit dem Hinweis auf die soziale Not. 72 Ein Gesuch der Luzerner Arbeiterunion, die<br />
Betriebe mit Überzeitbewilligungen im Kantonsblatt zu publizieren, lehnte sie ab. 73<br />
4.2. Dienstleistungsstruktur und selbständige Erwerbstätigkeit<br />
Die in den Luzerner Adressbüchern enthaltenen Branchenverzeichnisse erlauben eine<br />
approximative Bestimmung der Selbständigenquote. Das Branchenverzeichnis von 1870<br />
weist für die ganze Stadt etwas über 900 Gewerbetreibende aus, wovon 99 auf den<br />
Untergrund entfallen (gemäss Quartiereinteilung von 1833). Diese stellten 3% der<br />
Quartierbevölkerung dar und waren in 51 Sparten tätig.<br />
Das Branchenverzeichnis von 1890 listet allein für das wesentlich kleinere Gebiet Basel- und<br />
Bernstrasse 223 selbständig Erwerbstätige auf. Subtrahiert man die nicht als selbständig (d.h.<br />
ohne eigenes Geschäft) einzuschätzenden 20 Aushelferinnen, 21 Wäscherinnen, zehn<br />
Weissnäherinnen, 22 Damenschneiderinnen, sieben Glätterinnen und Strickerinnen,<br />
verbleiben 143 (davon allein an der Baselstrasse 139). Das sind 6,7% der<br />
Quartierbevölkerung (36% der Steuerpflichtigen an der Baselstrasse), also wesentlich mehr<br />
als 1870. Zusätzlich zu den via Steuerregister eruierten selbständigen Händlern und<br />
Fabrikanten müssen, um die Zahl von 143 zu erreichen, ein Drittel der als Handwerker und<br />
Gewerbetreibende aufgeführten Zensiten selbständig gewesen sein. Das bedeutet, dass<br />
70 Eidgenössischer Fabrikinspektorenbericht 1916/17, S. 154.<br />
71 Eidgenössischer Fabrikinspektorenbericht 1918/19.<br />
72 Staatsverwaltungsbericht 1916/17, S. 116.<br />
73 CD 8.1.1917.<br />
27