DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
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1906 und 1907 wurde die neben Schindler in der Sentimatte gelegene mechanische<br />
Werkstätte Ehrenberg zweimal bestreikt (1906: 6 Tage/20 Beteiligte; 1907: 12 Tage/10<br />
Beteiligte). 99 Schindler konnte im November 1906 durch die Annulierung einer Kündigung<br />
im letzten Moment einen Streik abwenden. 100 Im gleichen Jahr begann er mit dem Bau einer<br />
Wohnsiedlung für seine Arbeiter im Rönnimoos an der oberen Bernstrasse. Bis 1909 waren<br />
54 Familien in die nach griechischen Göttern benannten, im Schweizerhausstil gebauten<br />
Häuschen eingezogen. 101 Zusätzlich vermietete Schindler in der Sentimatte Wohnungen an<br />
seine Belegschaft, die somit mehrheitlich in fabrikeigenen Wohnungen untergebracht war. 102<br />
Bei Kriegsausbruch beschäftigte Schindler 155 Arbeiter in der Sentimatt und 50 in der<br />
Giesserei in Emmenbrücke. Mit der Umstellung der Produktion auf Kriegswirtschaft rückte<br />
Schindler zum bedeutendsten Luzerner Hersteller von Granathülsen und Munition für die<br />
Schweizer Armee auf. Schon bald erwiesen sich die Fabrikationsgebäude in der Sentimatt als<br />
zu eng, so dass Schindler 1916/1917 acht angrenzende Liegenschaften aufkaufte. In der<br />
zweiten Kriegshälfte herrschte in der Metallbranche sporadisch ausgezeichnete Konjunktur,<br />
indirekt ablesbar etwa am städtischen Wanderungsgewinn von fast 3'000 Personen 1917 und<br />
am Anstieg des städtischen Erwerbssteuerkapitals 1916-18 um 45%. 103 Die Kriegskonjunktur<br />
schürte die Konkurrenz zwischen den industriellen Arbeitgebern. So versuchte die Viscose-<br />
Direktion ihre Arbeiterschaft von Übertritten zu Schindler abzuhalten, indem sie vor einem<br />
Zusammenbrechen der hohen Schindler-Löhne nach dem Abflauen der Kriegskonjunktur<br />
warnte. 104 Tatsächlich führten von der Auftragslage abhängige, kurzfristige<br />
Konjunkturschwankungen mitunter zu massiven Entlassungen, etwa im August 1918, als<br />
Schindler der 200köpfigen Spendmühle-Belegschaft im Obergrund, wo auch Munition<br />
hergestellt wurde, kündigte. 105 Sporadisch zählte die Schindler-Belegschaft gegen Kriegsende<br />
um die 1'000 Personen, darunter viele Frauen. 106<br />
Die soziale Unrast schürte die Kolportage von Gerüchten in Quartier und Presse. Der<br />
"Centralschweizerische Demokrat" veröffentlichte 1918 einen "Offenen Brief an den<br />
Munitionsfabrikanten A. Schindler", in dem ein entlassener Schindler-Arbeiter seinen<br />
ehemaligen Chef des illegalen Exports von Aluminium und in Granathülsen eingemachter<br />
Butter beschuldigte. Schindler reagierte mit einem scharfen Dementi. 107<br />
99 Hirter (1988), S. 1554 und 1560. 1908 verlegte Ehrenberg nach einem Brand seinen Betireb an die<br />
Bernstrasse, wo er auch wohnte.<br />
100 2. Jb. des sozialdemokratischen Arbeitersekretariats Luzern 1906, S. 8-9.<br />
101 Mündliche Auskunft von Dr. Rutzki, Archivbetreuer bei Schindler.<br />
102 Mündliche Auskunft von Jacob Scherrer.<br />
103 Vber. StR. 1917/1918, S. 58.<br />
104 Viscose-Post, 4/1956, S. 92. Auch Bern wies dank florierender Maschinenindustrie demographische<br />
Kriegsgewinne aus; andere Städte, etwa St. Gallen, erlitten Bevölkerungsverluste.<br />
105 Schelbert (1985), S. 30.<br />
106 Schelbert (1985), S. 36.<br />
107 CD 6.5.1918 und 11.5.1918. Auch Jacob Scherrer erinnert sich, das Gerücht habe im Quartier zirkuliert, dass<br />
Schindler in Granathülsen Butter ausser Landes schmuggelte.<br />
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