DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
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Wochenenden zu "Skandal aufgelegten Italiener und Arbeiter" an der oberen Bernstrasse<br />
regte der Quartierverein die Schaffung eines Polizeipostens an der Grenze zu Littau und<br />
intensivere Patrouillen an. Die in der Eingabe enthaltene Formulierung "Läuse und Flöhe in<br />
Oberitalien" bringt die xenophobe Abwehrhaltung des Quartiervereins auch sprachlich zum<br />
Ausdruck. 293 Der Zuzug vieler Italiener, deren Mentalität bei der einheimischen Bevölkerung<br />
zum Teil auf Unverständnis stiess, hatte in den 90er Jahren diffuse Ängste geweckt. 1902<br />
vermerkt das Sitzungsprotokoll des Quartiervereins, seit dem Einzug des Italieners Cavalli in<br />
das Haus Bernstrasse Nr. 55 veranstalte "Gesindel und händelsüchtiges Pack" "lärmendes<br />
Treiben, wo es ja selbstverständlich auch in sittlicher Beziehung unlauter zugehen muss." 294<br />
Der simple Konnex von Unsittlichkeit und Lautstärke entsprach kleinbürgerlicher<br />
einheimischer Mentalität. Der Quartierverein wandte sich auch gegen eine zweite Wirtschaft<br />
an der Bernstrasse, obwohl ein Vereinsmitglied selber entsprechende Pläne hegte. 295 Als 1908<br />
immer noch "Italienerkarawanen" die Trottoirs blockierten, die Polizei aber nichts dagegen<br />
unternahm, stellte der Quartierverein in Eigenregie Tafeln auf, die das Verweilen auf dem<br />
Gehsteig untersagten. 296<br />
Die amtliche Aufsicht über die Quartierbewohner oblag dem Quartierwachtmeister, eine mit<br />
der städtischen Polizeiordnung von 1868 geschaffene Kontrollinstanz. Sein Pflichtenheft<br />
beinhaltete, dass er im Quartier wohnte, Rapporte über übelbeleumdete, z.B. Hausbettel<br />
betreibende Personen anfertigte und illegal im Quartier Anwesende eruierte. 297 Der<br />
Quartierwachtmeister der Bernstrasse, Josef Bremgartner, gehörte auch dem Quartierverein<br />
an und führte in dessen Auftrag polizeiliche Abklärungen durch. 1921 erzwang der<br />
Quartierverein schliesslich Bremgartners Rücktritt, nachdem er ihn mehrmals vergeblich<br />
aufgefordert hatte, sein Auto weniger zu benützen, weil es eine ständige Lärmquelle im<br />
Quartier darstellte. Bremgartner war der erste Autobesitzer im Untergrund überhaupt. 298<br />
Die vom Quartierverein ausgeübte soziale Kontrolle intensivierte sich parallel zu den sich<br />
zuspitzenden gesellschaftlichen Gegensätzen um 1910. 1909 ersuchte er den Luzerner<br />
Armenverein um ein Verzeichnis jener Quartierbewohner, die Armenunterstützung genossen,<br />
um deren Verhältnisse zu prüfen und "dieser oder jener Familie den Unfug abzuschaffen". 299<br />
Anhand einer vom Armenverein erhaltenen Liste eruierte der Quartierverein 14 "unwürdige"<br />
Personen und Familien, die seiner Ansicht nach einer unmoralischen Lebensführung frönten<br />
und somit missbräuchlich Armenhilfe bezogen. Als moralische Defekte erschienen dem<br />
Quartierverein etwa Alkoholismus ("Saufbruder"), Arbeitsfaulheit, Hausbettel, Verschuldung<br />
und Diebstahl ("zum Stehlen dressierte Kinder"). 300 Als Sanktionen schlug er dem<br />
293 Eingabe an den Luzerner Stadtrat 1898.<br />
294 Prot. Quartierverein Bernstrasse 16.3.1902.<br />
295 Prot. Quartiervereien Bernstrasse 15.11.1908 und August 1909.<br />
296 Prot. Quartierverein Bernstrasse 21.12.1908.<br />
297 GDV, Bd V., S. 457-458.<br />
298 Prot. Quartierverein Bernstrasse 5.8.1921.<br />
299 Prot. Quartierverein Bernstrasse 18.11.1909.<br />
300 Prot. Quartierverein Bernstrasse 16.12.1909.<br />
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