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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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Die von den Pfarrern zu Handen des Bischofs verfassten Visitationsberichte, die<br />

Rechenschaft über das religiöse Leben in den Pfarreien ablegen, erlauben Aussagen zur<br />

Volksreligiosität. Für die Pfarrei St. Karl liegen Visitationsberichte ab 1922, als Pfarrer<br />

Gottlieb Moos seine Tätigkeit aufnahm, vor. 235<br />

Im Vergleich mit den protestantischen Städten, aber auch dem katholischen Freiburg, blieb<br />

der Messebesuch in der Stadt Luzern bis weit ins 20. Jh. hinein überdurchschnittlich hoch.<br />

Tiefverwurzelte katholische Tradition, Erleichterungen für den Normenkatholizismus durch<br />

das Staatskirchenrecht und die schützende Funktion der katholischen Landschaft trugen dazu<br />

bei. 236 Dass sich in den Visitationsberichten keine Hinweise auf allfällige Kirchenabstinenz<br />

liberaler Dorfeinwohner in politisch gemischten Dörfern finden, zeigt, dass auch in liberalen<br />

Kreisen der Landschaft der sonntägliche Kirchgang noch selbstverständlich war. 237 Das<br />

katholische Milieu war äusserst kompakt. In bäuerlichen Kreisen, wo sich liturgischer<br />

Fest- und agrarischer Jahrzeitenkalender gegenseitig stützten, setzte erst nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg allmählich ein religiöser Mentalitätswandel ein. 238 Auch der Anteil der<br />

sogenannten "Nurösterlinge", also jener, die an gewöhnlichen Sonntagen der Messe<br />

fernblieben, lag auf der Landschaft bedeutend tiefer als in der Stadt.<br />

Strenggläubige Geistliche wie etwa der Krienser Pfarrer und Pfarrer Bossard von St. Paul<br />

beurteilten die Erosionserscheinungen in der Volksreligiosität in ihren Visitationsberichten<br />

als gravierender als die liberaleren. Das Spektrum der Klagen, das von mangelhaftem<br />

Messebesuch, schlechter Erfüllung der Osterpflicht (v.a. bei Männern) - Abstinenz fast der<br />

Hälfte der Pfarreiangehörigen von der Osterpflicht kam in den städtischen Pfarreien nicht<br />

selten vor -, Wildwuchs laizistischer Vereine, antiklerikaler Presseprodukte und Schriften bis<br />

zur Zunahme unehelicher Geburten und Sonntagsentheiligung durch Freizeitanlässe reichte,<br />

koppelte toposartig die Sündhaftigkeit des Stadtlebens mit den als verwerflich eingestuften<br />

Ideologien Sozialismus und Liberalismus. Mitunter gesellte sich zur Kritik an der<br />

Kirchenabstinenz von Sozialisten jene an italienischen Arbeitern; so machte der Hochdorfer<br />

Pfarrer 1926 über 100 sozialistische und italienische Arbeiter aus, welche die Osterpflicht<br />

nicht erfüllten. Die völlig kirchenabstinenten Italiener rügte er besonders.<br />

Die in den Visitationsberichten enthaltenen Statistiken der jährlich gespendeten<br />

Kommunionen weisen für den Untergrund eine tiefe Frequenz aus: von durchschnittlich einer<br />

Kommunion pro Pfarreiangehörigem/r 1923 stieg sie bis 1928 zwar auf vier, lag aber im<br />

Vergleich mit den anderen städtischen Diözesen wesentlich tiefer. In der ebenfalls jungen<br />

235 Nach mündlicher Auskunft von Pfarrer Täschler war Moos ein einfacher, "einfältiger" Mann aus dem Volk.<br />

236 Auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg war der Messebesuch in Luzern überdurchschnittlich hoch.<br />

Altermatt (1989), S. 284 und 335, nennt für das Jahr 1959 folgende Werte: 69% in der Stadt Luzern, 52% in St.<br />

Gallen, 41% in Zürich und 63% in Freiburg.<br />

237 Das rigide katholische Milieu auf der Landschaft illustriert die Weigerung des Pfarrers von Giess (LU) 1928,<br />

die Kirchenglocken zur Beerdigung eines Protestanten zu läuten, was zu einer liberalen Interpellation im<br />

Grossen Rat führte (AB 1.12.1928).<br />

238 Altermatt (1986), S. 115 und 116.<br />

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