DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Seit 1917 hatten sich Lohnbewegungen und Streiks auch bei Schindler gehäuft (siehe Anhang<br />
50 und 52). Sozialistisches Gedankengut gewann in der Arbeiterschaft an Popularität. Bei der<br />
Wahl einer Fabrikkommission 1918 erhielt die freie Gewerkschaft viermal so viele Stimmen<br />
wie die freisinnigen und christlichsozialen Kandidaten zusammen. Die christlichsoziale<br />
Konkurrenz zu den freien Gewerkschaften war in der Metallbranche schwächer als in der<br />
Textilbranche. Der alteingesessene Arbeiterstamm stellte bei Kriegsende nurmehr die<br />
Minderheit der Belegschaft. Während Lohnbewegungen für die Gewerkschaft meist<br />
erfolgreich verliefen, blockte Schindler Begehren auf eine Verkürzung der Arbeitszeit<br />
konsequent ab. Am Beispiel von zwei Streiks 1918 und 1919 lässt sich zeigen, dass sich<br />
Schindlers Bemühungen, einen dem Betrieb verbundenen, kleinbürgerlichen Arbeiterstamm<br />
heranzubilden, für die betriebsinterne Konfliktregulierung auszahlten.<br />
1918 handelten der ASM (Arbeitgeberverband der schweizerischen Metall- und<br />
Maschinenindustrie) und der SMUV ein Abkommen aus, das die Einführung der 54-Stunden-<br />
Woche per 1. April festschrieb. Schindler, obwohl selber Verbandsmitglied, sträubte sich, das<br />
Abkommen im eigenen Betrieb voll umzusetzen. Er berief sich auf eine Vertragsklausel,<br />
wonach Betriebe mit bisheriger 58- und 59-Stunden-Woche lediglich zu einer<br />
Arbeitszeitreduktion auf 56 Stunden verpflichtet wurden. Allerdings hatte Schindler bislang<br />
57 Stunden arbeiten lassen. Neu offerierte er 55.5 Stunden bei freiem Samstagnachmittag.<br />
Die Funktionäre der SMUV-Zentrale in Bern wehrten sich vehement gegen eine Verletzung<br />
des Abkommens durch Schindler. Verbandssekretär Stähli empörte sich in einem Schreiben<br />
an den Luzerner Metallarbeitersekretär Zimmerli: "Wir wollen dem Schindler keine Ruhe<br />
lassen, denn es geht einfach nicht an, dass dieser grosse Protz dem Abkommen eine Nase<br />
drehen kann." 108 Mehrmals reiste Stähli zu Belegschaftsversammlungen nach Luzern, ohne<br />
Erfolg. Die Belegschaften in Emmenbrücke und in der Sentimatt fanden zu keiner<br />
gemeinsamen Strategie. Während die Arbeiterschaft in Emmenbrücke Kampfmassnahmen<br />
befürwortete, verhandelten altgediente Arbeiter von der Sentimatt ohne offizielles SMUV-<br />
Mandat mit Schindler - und einigten sich. Dieser gewährte eine Lohnerhöhung, blieb aber in<br />
der Arbeitszeitfrage hart. 109 Im "Metallarbeiter" liess Stähli seinem Zorn über das<br />
eigenmächtige Vorgehen der Arbeiter freien Lauf: "Bei dieser Firma hat der 'Kunsthonig', das<br />
heisst die 'Wohlfahrtseinrichtungen' von jeher eine grosse Rolle gespielt, durch welche die<br />
Arbeiterschaft korrumpiert wurde. ... Aus diesen Gründen konnte der Schindlersche Betrieb<br />
nie vollzählig organisiert werden." 110 "Mit diesen Leuten ist doch nun rein nichts<br />
anzufangen", zog er in einem Schreiben an Zimmerli die bittere Bilanz. 111 Einige ältere<br />
Luzerner Genossen traten wegen Stählis Artikel aus dem SMUV aus. Der Luzerner SMUV-<br />
Vorstand hatte sich, in Kenntnis der Stimmung bei den Schindler-Arbeitern, vergebens beim<br />
108 Schreiben Stählis an Zimmerli vom 11.5.1918 (SMUV-Archiv).<br />
109 "Metallarbeiter" 20.7.1918.<br />
110 "Metallarbeiter" 20.7.1918.<br />
111 Schreiben Stählis an Zimmerli vom 24.5.1918 (SMUV-Archiv).<br />
35