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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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zur Arbeiterfrage entwarf ein sozialreformerisches Programm mit den Kernthesen<br />

Ständeversöhnung, Ablehnung des Sozialismus und Gewährleistung des Privateigentums. 244<br />

Die katholische Zeitkritik geisselte als Abfallprodukte industrieller Rationalisierung und<br />

wirtschaftlicher Produktivitätssteigerung Mammonismus und Aushöhlung ideeller Werte.<br />

Sakrale Strukturierung des Tagesablaufs wie in ländlichen Gebieten war in der Stadt nicht<br />

mehr möglich.<br />

Der Katholizismus speiste sich aus einem antimodernistischen, antiliberalen und<br />

antisozialistischen Reflex. Im urbanen Raum gebärdete er sich als Ablehnung laizistischer<br />

Alltagskultur, die als liberal und sozialistisch infiltriert galt.<br />

Bei Karl Wick beispielsweise, Redaktor beim "Vaterland" und ideologischer Vordenker der<br />

Konservativen, wird die Trennung in eine politische Kultur und eine laizistische Volkskultur<br />

hinfällig, wenn er einen politischen Katholizismus - d.h. die Anwendung der katholischen<br />

Grundsätze auf das öffentliche Leben - als Antwort auf den "politischen Kulturkampf des<br />

Sozialismus" propagiert. 245<br />

Auch in der volkstümlichen Gebrauchslyrik, wie etwa dem "Allgemeinen Gebet in Sachen<br />

St.- Karli-Kirche zum Christkönig-Fest 1930" eines anonymen Verfassers, der das Gedicht<br />

auf Flugzetteln im Untergrund streute, verband sich Kritik am industriellen Fortschritt mit<br />

Antisozialismus. 246<br />

"Verschon' uns, o Herr, mit 'Gotteshäusern',<br />

Die Schlachthöfen ähneln, schon im Äussern,<br />

Langweilig, gefühllos wie eine Fabrik,<br />

Wohin montags der Arbeiter muss zurück.<br />

Gib uns einen Bau für Glaub' Hoffnung und Liebe,<br />

Halte fern von ihm blosse 'Schicklichkeitstriebe'.<br />

Schenk' uns einen schlichten, volkstümlichen Tempel<br />

Der frei von kommunistisch-bolschewistischem Stempel.<br />

Ein Deiner würdiges Gotteshaus<br />

Und weise die 'falschen Propheten' hinaus."<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte in weiten Kreisen ein Malaise ob des sittlichen<br />

Zustandes der Gesellschaft. Politische Programme forderten moralische Erneuerung auf der<br />

Grundlage eines forschen Antisozialismus. Gegen den moralischen Zerfall der Gesellschaft<br />

priesen die Luzerner Literatinnen Agnes von Segesser und Anna Richli in ihren zeitkritischen<br />

Büchern Patriotismus, Katholizismus und Antisozialismus. 247<br />

244 Aubert, Geschichte der Kirche V/1, S. 38-39.<br />

245 Siehe Wicks Schrift "Politik und politische Parteien" (1927), S. 41 und 43.<br />

246 Pfarreiarchiv St. Karl.<br />

247 In Anna Richlis "Otto Wikardts Weg" (1935) findet der weltmännische Protagonist bei seiner Rückkehr in<br />

die Schweiz in der Nachkriegszeit eine Welt moralischer Anarchie und Sittenverwilderung vor.<br />

Agnes von Segesser veröffentlichte 1935 unter dem Pseudonym Franz Buchen den Roman "Der Geheimkurier",<br />

in dem unter Einstreuung damals bereits als Fälschungen ausgewiesener Dokumente die Gefahr eines<br />

bolschewistischen Umsturzes zur Zeit des Landesstreiks beschworen wird. Anna Richli und Agnes von Segesser<br />

waren in der katholischen Frauenbewegung aktiv.<br />

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