DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
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Brunners Definition von Schichtkriterien bietet den Vorteil, dass Schichten überhaupt<br />
gebildet werden können. Andererseits kommt es an den Schichtgrenzen zu willkürlichen<br />
Verzerrungen. So gehört bei Brunner z.B. Stadtrat Roman Scherer 1891 mit einem Vermögen<br />
von 45'000 Franken, einem Katasterbetrag von 6'000 Franken und einem Jahreseinkommen<br />
von 750 Franken der Oberschicht an, während der im gleichen Haus wohnende<br />
Oberstleutnant H. von Reding mit 30'000 Franken Vermögen und 2'250 Franken Einkommen<br />
in die Mittelschicht fällt.<br />
Der rechte Stadtteil war erheblich reicher als der linke. Sein Steuerkapital übertraf trotz<br />
geringerer Bevölkerungszahl jenes des linken Ufers in allen Kategorien bei weitem<br />
(aufgeschlüsselt für das Jahr 1900 in Anhang 24). Die zentralen Quartiere Altstadt und<br />
Kleinstadt sowie das Hofquartier wiesen einen höheren durchschnittlichen Wohlstand auf als<br />
die Aussenquartiere des linken Ufers.<br />
Nur knapp jeder dritte Zensit besass 1891 im Untergrund ein steuerbares Vermögen, im Hof<br />
dagegen waren es fast 60% der Steuerpflichtigen. Das durchschnittliche Totalsteuerkapital lag<br />
1891 im Hof fast dreimal höher als in den Quartieren Untergrund und Moos. 137 Bis 1910<br />
verschärfte sich die sozialräumliche Diskrepanz zwischen dem Stadtzentrum und den<br />
Arbeiter- und Angestelltenwohngebieten an der Peripherie noch. 138 1910 war das<br />
durchschnittliche Einkommen im Hofquartier 4,7mal höher als im Untergrund, das<br />
durchschnittliche Vermögen sogar 5,1mal. Bloss 2,8% aller städtischen<br />
Vermögenssteuerpflichtigen wohnten im Untergrund. Drei Viertel von ihnen - soviel wie<br />
nirgendwo sonst in der Stadt - verfügten über kleine Vermögen unter 10'000 Franken. 20%<br />
der Zensiten besassen 1910 im Hofquartier ein Haus, doppelt so viele wie im Untergrund. Der<br />
mittlere steuerbare Katasterwert im Hof übertraf jenen im Untergrund um das Zehnfache<br />
(berechnet auf alle Zensiten des Quartiers). 139 Auch steuerbare Einkommen über 2'000<br />
Franken gab es im Untergrund nur wenige (3,7% im Untergrund, 28,6% im Hof). In<br />
politischer Hinsicht ging die sozialräumliche Verdichtung von Armut und Reichtum in<br />
Luzern in der 2. Hälfte des 19. Jh. mit dem Aufstieg eines liberalen Besitzbürgertums einher,<br />
das die patrizische Oberschicht von den Schaltstellen der Macht verdrängte.<br />
Ein gedruckter Auszug aus dem städtischen Steuerregister von 1908 verzeichnet alle<br />
Zensiten, die ein Vermögen von 10'000 Franken und mehr und/oder ein Einkommen von<br />
2'500 Franken und mehr versteuerten. Zwar weisen die finanziellen Verhältnisse des damit<br />
erfassten oberen Schichtsegments eine hohe Bandbreite auf - von Millionären bis hin zu<br />
137 Brunner (1976), S. 45-46.<br />
138 Brunner (1981), S. 20.<br />
139 Steuerbüchlein der Sozialdemokratischen Partei der Stadt Luzern. Ein Vergleich mit dem ungedruckten<br />
Steuerregister zeigte identische Werte. Der Durchschnitt wurde anhand jener berechnet, die tatsächlich Beträge<br />
in den betreffenden Kategorien auswiesen. Wird der Durchschnitt auf alle Zensiten der jeweiligen Kategorie<br />
berechnet, wird die Diskrepanz beim Erwerb weniger ausgeprägt infolge der vielen Rentner im Hof (im Hof 183<br />
von 374 Zensiten; im Untergrund 48 von 624), beim Vermögen dafür grösser: im Hof versteuerten 67,5% ein<br />
Einkommen (Durchschnitt 1'935) und 69,7% ein Vermögen (Durchschnitt 49'549 Fr.). Im Untergrund<br />
versteuerten 1910 93,1% einen Erwerb (Durchschnitt bei 573 Fr.) und 22,3% ein Vermögen (Durchschnitt 3'109<br />
Fr.).<br />
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