DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
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Pietzcker betrug der Mietwert eines Geschäftslokals im Untergrund Ende 19. Jh. 825 Franken,<br />
im Hof das doppelte, in der Grossstadt durchschnittlich 1'130 Franken. 81<br />
Träger wirtschaftlicher Macht wohnten kaum im Untergrund. Von den 162 Verwaltungsräten<br />
der 68 im Adressbuch von 1911 verzeichneten Aktiengesellschaften, Bankinstitute und<br />
Sparkassen lebte einzig Fürsprech Allgäuer-Haas im Quartier. Er gehörte dem Verwaltungsrat<br />
der Finanzgesellschaft für Hochdorfer Industrien an.<br />
Exkurs 1: Zur Verschärfung der Klassenlage am Beispiel der Aufzüge- und<br />
Maschinenfabrik Schindler und der Gewerkschaftsbewegung<br />
Robert Schindler (<strong>1850</strong>-<strong>1920</strong>) betrieb seit 1874 eine mechanische Werkstätte auf der<br />
Reussinsel zur Produktion von Dampfmaschinen, Schiffsmotoren sowie Hotel- und<br />
Wäschereieinrichtungen. 1883 verlegte er den Betrieb aus Platzgründen in die Sentimatt. Die<br />
Fertigung des ersten Aufzugs Ende der 80er Jahre leitete die Expansion zum international<br />
renommierten Unternehmen ein. 82 1904 beschäftigte Schindler bereits 124 Arbeiter und vier<br />
Arbeiterinnen (1988 erst 15 Arbeiter). 83<br />
Robert Schindler pflegte eine gewisse Quartierbindung. Er bewohnte ein Haus inmitten seines<br />
Betriebes, ehe er als Rentner in eine Villa im Hofquartier umzog (vor 1910). 84 Als<br />
Vorstandsmitglied des Quartiervereins "Wächter am Gütsch" (Baselstrasse) hielt er 1899 die<br />
Festrede zur Eröffnung der Tramlinie im Untergrund; zudem gehörte er der St.-Jakobs-<br />
Gesellschaft an, einem ursprünglich in der St.-Jakobs-Vorstadt beheimateten<br />
Geselligkeitsverein, der sich Ende 19. Jh. zum vornehmen liberalen Herrenclub entwickelt<br />
hatte (siehe Kap. 9.1.). Schliesslich amtierte Schindler als liberales Mitglied des Grossen<br />
Stadtrates, in den er 1899 mit den meisten Stimmen aller Kandidaten des Wahlkreises<br />
Bruch/Untergrund gewählt wurde. 85<br />
Die spärlichen Quellen zur Firmengeschichte zeichnen das Bild eines paternalistisch<br />
geführten Familienbetriebs: "Durch regelmässige Zuwendungen und Gratifikationen wusste<br />
er dieses (Schindler das Personal, d.V.) arbeitsfreudig zu halten." 86 Das Zitat enthüllt, wie zu<br />
zeigen sein wird, den strategischen Kern der Arbeiterpolitik Schindlers, wie sie sich mit der<br />
Expansion des Unternehmens im Zuge des soziopolitischen Wandels der Jahrhundertwende<br />
ausprägte.<br />
1901 übernahm Alfred Schindler (1873-1937), der Neffe Roberts, die Leitung der Firma. Der<br />
schnelle Ausbau des Unternehmens und die Verschärfung der sozialen Gegensätze im ersten<br />
Jahrzehnt des 20. Jh. stellten neuartige Anforderungen an die Betriebsführung.<br />
81 Pietzcker (1898), S. 55, 77-78.<br />
82 Gründung einer Tochtergesellschaft in Berlin 1906, Fabrikanlagen in Amerika und Russland. Letztere gingen<br />
in der Revolutionszeit verloren (Nekrolog Alfred Schindler, in: LT 16.10.1937).<br />
83 Jb. der Gesellschaft für Handel und Industrie in Luzern, 1904, S. 25. Brunner (1976), Anhang XV.<br />
84 Adressbücher der Stadt Luzern.<br />
85 "Vom Gütsch zur Reuss", S. 35.<br />
86 Nekrolog Alfred Schindler, in: LT 16.10.1937.<br />
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