09.01.2013 Aufrufe

Zürcher Denkmalpflege, 9. Bericht 1977-1978, 1.Teil - Kanton Zürich

Zürcher Denkmalpflege, 9. Bericht 1977-1978, 1.Teil - Kanton Zürich

Zürcher Denkmalpflege, 9. Bericht 1977-1978, 1.Teil - Kanton Zürich

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

dem Zugang zum Herrenchor...» für den Kenotaph oder den<br />

Gedenkstein des Stifters Lütold V. von Regensberg ..., der<br />

auf einer Heiliglandfahrt am 8. November 1218 bei Akkon<br />

starb.*<br />

Die Untersuchungen von 1980 zeitigten aber zu unserer<br />

grossen Überraschung ein ganz anderes Ergebnis.<br />

Die Grabplatte, 2,50 × 1 ,30 cm, noch am ursprünglichen<br />

Ort, trägt ein weitestgehend abgemeisseltes Wappen mit<br />

Helm. Über dem Helm muss eine Inschrift ebenfalls abgearbeitet<br />

worden sein, während die Beschriftung auf der Randzone<br />

durch Abscheuerung unleserlich wurde. Die noch<br />

identifizierbaren Buchstaben sind nahe verwandt mit der<br />

Inschrift auf der Grabplatte Ulrichs I. von Regensberg (um<br />

1280).<br />

Die Platte ist ungewöhnlich dick, teilweise bis zu etwa<br />

40 cm, und auf der Unterseite sehr grob behauen. Sie ist ungefähr<br />

in der Mitte quer durchgebrochen. Es wurde daher<br />

auf deren Hebung verzichtet.<br />

Um das Grabinnere trotzdem untersuchen zu können, öffneten<br />

wir die östliche Schmalseite des Grabes. Nach Entfernung<br />

der lockeren humosen Einfüllmasse kam ein West-Ost<br />

orientiertes Skelett zutage, welches innerhalb spärlicher<br />

Sargspuren auf dem Fels ruhte.<br />

Das Skelett wurde vom Anthropologischen Institut der<br />

Universität <strong>Zürich</strong> untersucht und wie folgt beschrieben:<br />

«Relativ gut erhaltene Skelettreste eines Individuums.<br />

Alter: matur (40–50 J. alt).<br />

Geschlecht: offenbar männlich.<br />

Körpergrösse: ca. 174 cm.<br />

Schädel/Gesicht: Die Oberansicht des Schädels ist oval und<br />

deutlich asymmetrisch (rechts grösste Breite weiter hinten,<br />

rechte Seite im ganzen deutlich grösser). Die Stirn steigt<br />

flach nach hinten an, der Scheitel ist gerundet. Das Gesicht<br />

erscheint hoch, schmal und schildförmig umrissen und<br />

ebenfalls asymmetrisch. Die Mandibula zeigt eine laterale<br />

Kinnakzentuierung unten und eine hohe Symphyse.<br />

Auch beim Gebiss ist eine Asymmetrie zu beobachten: Ausser<br />

unten rechts sind überall nur zwei Molaren durchgebrochen.<br />

Die Abrasion der Zähne ist links viel stärker als<br />

rechts. Die unterschiedliche Abrasion der Zähne steht wahrscheinlich<br />

in Zusammenhang mit einem Abszess in der Maxilla<br />

im Bereich des M 1 rechts. Beim Kauen wurde die<br />

schmerzende rechte Zahnreihe offenbar geschont. Aber<br />

auch links scheint sich an der Wurzel des M 1 ein Abszess gebildet<br />

zu haben, doch ist die Veränderung des Knochens<br />

dort noch weniger weit fortgeschritten. Auch die Asymmetrie<br />

des Gesichtes ist möglicherweise auf den Abszess in der<br />

rechten Seite der Maxilla und die unterschiedliche Abnützung<br />

der Zähne zurückzuführen. Der M 1 rechts zeigt Karies.»<br />

* Zur Numerierung der Lütolds von Regensberg vgl. F. Stucki,<br />

Freiherren von Regensberg, Genealogisches Handbuch zur<br />

Schweizer Geschichte, Bd. IV, Fribourg 1980, S. 205 ff.<br />

182<br />

Aufbewahrungsort der Skelettreste: Anthropologisches<br />

Institut der Universität <strong>Zürich</strong>.<br />

Nach der Untersuchung wurde die etwa 3½ Tonnen<br />

schwere Grabplatte bei der Bruchstelle auf die ursprüngliche<br />

Höhe angehoben und durch einen Unterbau aus Backsteinen<br />

stabilisiert.<br />

Um trotz der starken Beschädigung und Abrasion Wappenschild,<br />

Helm und Inschrift wenigstens in Spuren identifizieren<br />

zu können, bestreuten wir die Grabplatte mit Mehl und<br />

schliffen die Plattenoberfläche sauber. Die Photographie<br />

der nun wieder mit Ziermotiven und Schriftzeichen belebten<br />

Grabplatte aber ermöglichte Dr. H. Kläui in Winterthur,<br />

uns am 6. Januar 1981 folgende überraschende Interpretation<br />

zu senden:<br />

«Zum Wappen: Dieses lässt sich nach der Schildform, die rein<br />

gotisch ist, in die zweite Hälfte des 13. oder erste Hälfte des<br />

14. Jh. datieren. Es ist jedoch völlig unmöglich, das Schildbild,<br />

also die Figuren, noch zu erkennen. Es hätte keinen<br />

Sinn, den stellenweise einen Raster bildenden groben Kratzern<br />

irgendein heraldisches Bild unterlegen zu wollen. Die<br />

Figuren müssen bewusst zerstört worden sein, sei es aus Unverständnis,<br />

weil der Grabstein in einem Gehweg lag und<br />

man nicht immer über die konvexen Teile der Wappenskulptur<br />

straucheln wollte, sei es aus irgend einer ‹politischen›<br />

Absicht... Die Überreste des Wappens erlauben also<br />

keinerlei Schlüsse auf die Person und das Geschlecht des Bestatteten.<br />

Höchstens die Grösse von Stein und Wappen<br />

könnte auf einen hochadeligen Herrn hindeuten.<br />

Zur Inschrift: Diese erweist sich als stark abgenützt, jedenfalls<br />

durch Begehung des Steins durch lange Zeit hindurch.<br />

Durch die Mehlbestreuung liessen sich aber eine Anzahl<br />

von Buchstaben sicher erkennen. Nun war bei allen Versuchen<br />

kein Hinweis auf die Stifterfamilie der Freiherren von<br />

Regensberg gelungen, weder auf den Familiennamen noch<br />

auf den Tauf- und Leitnamen ‹Lütold›. Dagegen stach in der<br />

Querzeile der Umschrift ein W absolut deutlich hervor, wobei<br />

der zweite Buchstabe dahinter ein E sein konnte und die<br />

weiteren undeutlichen Zeichen sowie der Raum bis zur<br />

Ecke der Tafel den Namen Werdenberg nicht ausschlossen!<br />

Im vorausgehenden Teil der Inschrift (Längsseite) liess sich<br />

das Wort «Hartmann» entziffern, wobei besonders der<br />

zweite Teil des Namens recht deutlich war. Da es sich bei<br />

den erkennbaren Buchstaben um Majuskeln von der Mitte<br />

des 13. Jh. handelt, wie sie auch in unzähligen Siegelumschriften<br />

vorkommen, ergab sich auch eine ungefähre Datierung.<br />

Besonders schlüssig erwiesen sich u. a. die beiden<br />

NN von Hartmann, indem nebeneinander die beiden Formen<br />

des N stehen, die damals in dieser Schrift gebraucht<br />

wurden. Es erhob sich nunmehr die Frage, ob im Geschlechte<br />

der Grafen von Werdenberg der Taufname Hartmann<br />

(bei dem man vor allem an die Kyburger denkt!) überhaupt<br />

vorkommt. Die Frage kann bejaht werden! Im 13. Jh.<br />

ist bezeugt:

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!