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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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der erfolgreiche Chefredakteur, der sich selbst in die Position des geschäftsführenden<br />

Herausgebers gehievt hatte, die Blattlinie vor.<br />

Als Kurt P. 1989 als Journalist begann, war die Redaktion der Zeitung permanent<br />

auf der Suche nach freien Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. 116 Man versprach<br />

ihm eine praxisnahe Einschulung, im Gegenzug erwartete man eine, im<br />

Verhältnis zu den fix angestellten Redakteuren, billige Arbeitskraft. Eine Nachbesetzung<br />

eröffnete schlussendlich auch Kurt P. den Einstieg als Redakteur im<br />

Angestelltenverhältnis. Kurt P. will aufklären, die Leser unterrichten und<br />

bestimmte Inhalte aus der Flut an Informationen auswählen, um sie dann sachlich<br />

zu präsentieren. Ein reißerischer Boulevardstil ist ihm zuwider. Mit dem Wechsel<br />

von der Lokalredaktion in das Politik- und Wirtschaftsressort konnte er nach<br />

außen seine Position zwar noch verbessern, inhaltlich aber kam er immer mehr<br />

mit der vorgegebenen Blattlinie in Konflikt, die vom Herausgeber weiterhin dogmatisch<br />

auf der Verteidigung der sozialdemokratischen Politik eingeschworen<br />

wurde. Er begann zu zweifeln, seriöse Berichterstattung noch leisten zu können.<br />

Die finanzielle Situation des Blattes wurde immer prekärer. Alle Strategien<br />

gegen die Vorherrschaft der zwei »Auflagenriesen« waren vergebens. Die<br />

Auflagezahlen stagnierten, während die Konkurrenten kontinuierlich an Lesern<br />

und Leserinnen gewannen. Auch der Versuch, sich mit dem Slogan »Die andere<br />

Zeitung« Mitte der 90er Jahre noch einmal als Alternative zum Boulevardstil der<br />

Marktleader im Land zu positionieren, schlug fehl. Für Anzeigen- und<br />

Werbekunden wurde das Blatt immer unattraktiver. 117 Öffentliche Subventionen<br />

wurden in Zeiten des Sparbudgets zu Waffen in den Händen der Konkurrenz.<br />

Während die übermächtigen Konkurrenten eigene, technisch innovative Druckzentren<br />

errichteten, Onlineausgaben aufbauten und als multimediale Komplettanbieter<br />

ihrer Leserschaft ein umfassendes Service offerierten, war oft nicht mehr<br />

genügend Geld vorhanden, um die Gehälter der Mitarbeiter zu bezahlen. Wenn<br />

Kurt P. über die letzten Jahre der Tageszeitung erzählt, dann wechselt er zwischen<br />

sachlicher Darstellung und aggressiver Beschuldigung. Die Zeitung sieht er als<br />

Opfer einer völlig verfehlten Firmenpolitik, den Herausgeber als Täter, der<br />

sowohl Mitarbeiter, als auch Subventionsgeber ausgenutzt habe. 118 Nur für einen<br />

Augenblick kann er sein Schema, das den machtvollen Herausgeber zur<br />

Verkörperung des Bösen schlechthin stilisiert, durchbrechen, dann, als ihm dessen<br />

»Meriten in sozialen und karitativen Dingen« und dessen Maxime, »Leute<br />

nicht einfach hinauszuwerfen« in den Sinn kommen. Abgesehen davon, gibt er<br />

sich unversöhnlich und ist überzeugt, dass der wahre Schuldige am Desaster der<br />

Tageszeitung an deren Spitze agierte.<br />

Noch in den letzten Monaten vor dem Ende ließ sich Kurt P. zum stellvertretenden<br />

Betriebsrat delegieren, um aus dieser Position heraus Klarheit über die<br />

verschleierte, schlechte Finanzsituation zu gewinnen. Er wollte die Mitarbeiter<br />

über ihre Rechte und Möglichkeiten im drohenden Konkursfall informieren. Zu<br />

diesem Zeitpunkt war von der Corporate Identity nichts mehr übrig. Die<br />

Belegschaft war in Teilgruppen zerfallen. Die Gruppe der freien Mitarbeiter<br />

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