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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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Seither teilt sie – neben ihrer sonstigen Arbeit – die Arbeit der Kolleginnen ein,<br />

kontrolliert sie, schult die neuen Mitarbeiterinnen und kümmert sich um die<br />

Beschwerden der Auftraggeber. In ihrem dritten Arbeitsjahr bei der Firma erhielt<br />

sie sogar das Angebot, offiziell zur Objektleiterin aufzusteigen. Doch sie lehnte es<br />

ab, verzichtete auf eine Karriere, von deren Sinn sie nicht überzeugt ist. Es ist ihr<br />

klar, welche Folgen die Annahme des verlockenden Offertes hätte. Für Anna H. ist<br />

es nicht vorstellbar, von sechs Uhr früh bis neun Uhr nachts unterwegs und für<br />

neun Objekte gleichzeitig verantwortlich zu sein. Sie will nicht enden wie ihre<br />

unmittelbar vorgesetzte Objektleiterin, die »zeitweise nicht mehr klar denken<br />

kann«, weil sie »bis zum Umfallen« eingespannt ist. Diesen Verzicht auf die letzten<br />

Freiheiten an Zeitsouveränität und Selbstbestimmung mochte sie nicht leisten.<br />

Anna H. hat es vorläufig geschafft, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie<br />

ist davon überzeugt, dass sie diesen Weg weiter gehen kann, solange sie gesund<br />

bleibt. Erschöpft sich allerdings ihr körperliches Kapital vor der Pensionierung,<br />

»dann wird es vielleicht ein bisserl kritischer sein.« Sie hat jetzt einen Freund und<br />

müsste »gar nicht mehr so viel arbeiten«. Sie will nichts mehr von dem aufs Spiel<br />

setzen, was ihr Unabhängigkeit bedeutet, und sie ist davon überzeugt, dass in<br />

erster Linie ihr hohes berufliches Pflichtbewusstsein, ihre Eigenständigkeit und<br />

Zukunft sichert.<br />

Ihr Urteil über ihre Kolleginnen verhärtet sich dort, wo sie Arbeitsscheue oder<br />

ein Durchbrechen der herrschenden Ordnung vermutet. Trotz der äußeren Veränderungen<br />

in ihrem Leben, bleibt sie damit ihrer kleinbäuerlichen Vergangenheit<br />

näher, als man auf den ersten Blick vermuten würde.<br />

Die Reinigungsfrau<br />

(Interviewer: Johann Verhovsek)<br />

Gleich an die Arbeit<br />

– Wie lang sind Sie bei der Firma?<br />

Anna H. – Also, ich hab vor vier Jahren eine Scheidung gehabt, da bin ich ausgezogen<br />

und dann hab ich mir eine Wohnung gesucht und ja, eigentlich hab ich<br />

eine Annonce in der Zeitung gelesen von der Firma. Und dann bin ich eben zur<br />

Firma hin, haben wir dort eine kurze Einschulung gehabt und dann haben sie<br />

mich eben verständigt, haben sie mich genommen.<br />

– Und Sie haben als einfache Hilfskraft angefangen?<br />

Anna H. – Ja, da hab ich <strong>ganz</strong> normal einen Stock bekommen und den Stock<br />

geputzt und hab alles erledigt, was zum Machen war, auch in vier Stunden.<br />

– Also, der Einstieg war rasant.<br />

Anna H. – Gleich an die Arbeit.<br />

– Und haben Sie da irgendwelche Qualifikationen vorher vorgewiesen oder<br />

haben Sie das schon irgendwo einmal gemacht?<br />

Anna H. – Also, ich hab… Wo ich gewohnt hab, ich komm vom Land draußen,<br />

da war ich in der Gemeinde drüben, da hab ich immer das Gemeindehaus in<br />

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