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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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Kapitalien – auf das Know-how der westlichen, expandierenden Ökonomie und<br />

auf seine kulturelle Bindung an das andere, wirtschaftlich geschwächte Staatengefüge.<br />

292 Gerade in den Widersprüchen zwischen dem wirtschaftlichen<br />

Expansionismus und dem Loyalitätsbeweis seinem Heimatland gegenüber, liegen<br />

die Risiken seiner neuen Existenz. Als westlicher »Entwicklungshelfer« stößt er<br />

in seiner alten Heimat nicht auf die erwartete Anerkennung, sondern auf Skepsis<br />

und Ablehnung. Die Kluft zwischen seiner Herkunftskultur und seinen in der<br />

Emigration erworbenen kulturellen Gepflogenheiten und Wertsymbolen kann er<br />

mit seinem Vorhaben nicht überwinden. Im Gegenteil. Seinen Landsleuten in der<br />

alten Heimat wird die Doppeldeutigkeit seines Anliegens – die »besseren« westlichen<br />

Waren zu exportieren und damit gleichzeitig seine Zugehörigkeit zur slowenischen<br />

Kultur zu festigen – augenscheinlich.<br />

<strong>Das</strong> Dilemma verdeutlicht sich am Eigenheim, an dem alle Familienmitglieder<br />

– Jurij, seine Frau Sara und die drei Kinder – seit zehn Jahren, an Wochenenden<br />

und in den Ferien mit großer Hingabe bauen. Jetzt ist die Villa mit vorgelagerten<br />

Säulen und Terrassen, im Stil jener Neubauhäuser, deren Vorbild die Villen der<br />

Reichen und Schönen amerikanischer Fernsehserien sind, bald fertig. Jurijs Frau<br />

wollte eigentlich schnell ein kleines Haus haben, aber Jurij wollte die Früchte des<br />

schwer erarbeiteten Aufstiegs ernten und sie den »Daheimgebliebenen« dokumentieren.<br />

An den Wänden ihrer kleinen Wohnung in Graz hängen überall Fotos<br />

des Hauses, wie eine Verheißung des Glücks – ein Endpunkt ihrer gemeinsamen<br />

Wünsche, an dem sich die ersehnte Rückkehr in die Heimat und der Traum, einen<br />

Platz in der globalisierten Gegenwart einzunehmen, verwirklichen. Die Repräsentationsarchitektur<br />

des neuen Heimes in einer ärmlichen, ländlichen Gegend<br />

Sloweniens, wo den Menschen das Geld für die notdürftigsten Reparaturen fehlt,<br />

wird zur Metapher ihres Lebens zwischen den Welten. So eröffnen sich mit diesem<br />

Haus, das alle Entbehrungen ihrer Zeit in Österreich zurückgewinnen sollte,<br />

neue soziale Konflikte: Spannungen zu ihrem Herkunftsmilieu wie auch innerhalb<br />

der Familie. Die Demonstration des Aufstiegs ist Ausdruck einer doublebind<br />

Situation, der sich Grenzpendler und Grenzpendlerinnen nicht entziehen<br />

können. Jurijs Rechnung, den Daheimgebliebenen durch ein repräsentatives<br />

Modell der großen weiten Welt zu beweisen, dass die Entscheidung, ins Ausland<br />

zu gehen, die richtige war, schlägt ins Gegenteil um. Die Demonstration des erarbeiteten<br />

Status verstärkt die Vorurteile der Daheimgebliebenen. Sie verweigern<br />

ihm die erhoffte Anerkennung.<br />

<strong>Das</strong> Projekt des eigenen Hauses in Slowenien ist das Ziel, nach dem Jurij und<br />

seine Frau ihr Leben ausgerichtet haben. Dafür haben sie 30 Jahre mit drei Kindern<br />

in zu kleinen, alten Wohnungen in Graz gelebt, die immer nur als Übergangsphase<br />

vor der endgültigen Rückkehr gedacht waren. Jetzt lebt Jurij allein im<br />

neuen Haus in seiner Heimat. Sara zögert vor dem konkreten Schritt, wieder nach<br />

Slowenien zurückzukehren. Sie hat Angst. Viele Bindungen haben sich aufgelöst,<br />

vieles hat sich verändert. Wenn das Haus endlich fertig sein wird, wenn ihr Traum<br />

sie zu einer endgültigen Entscheidung zwingt, sind ihre Kinder längst erwachsen.<br />

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