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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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Peripherie ist aufgebrochen, die Ränder wirken zurück. Einkaufsstraßen der<br />

Innenstadt »verjüngen« sich, werden über Shopping produziert und konsumiert.<br />

Mehr und mehr beherrschen Unterhaltung und Erleben das Design und die Funktion<br />

des Stadtzentrums. Die inszenierte Theatralik des Konsumtionsraumes greift<br />

sich das Alte. Historische Gebäude und Ensembles erhalten dadurch eine neue<br />

Bedeutung: Sie werden zum Spektakel, zum Exotischen und zugleich zur lokalen<br />

Besonderheit erhoben. Globale Modemultis verdrängen traditionelle Familienunternehmen.<br />

Damit werden eine neue Arbeitsteilung und die Internationalisierung<br />

der Konsumtion ins Lokale eingewoben. Die ökonomische Eroberung<br />

alter und neuer Räume schafft neue Bedingungen und Qualitäten. Mit den Warenlabels<br />

verbreiten sich Werte, Lebensstile, Ideen und Vorstellungen von<br />

Geschlechteridentitäten, die die Grenzen der lokal, bürgerlich gedachten Konstellationen<br />

erschüttern. Kulturelle Ressourcen im Sinne von sozialen Machtverhältnissen<br />

werden uneindeutiger, vielfältiger. Gleichzeitig bleiben alte<br />

Grenzregime erhalten, neue werden hochgezogen. Sie sind Strukturmerkmal neoliberaler<br />

Globalisierungsprozesse. Gerade an der Textilindustrie zeigt sich, wie<br />

sich die Lebenspraxen junger Westeuropäer und Westeuropäerinnen in direkte<br />

Beziehung zu den Bedingungen der Produktionsstätten in Ost- und Südosteuropa<br />

setzen lassen. 80 Da wie dort werden Arbeitsstrukturen zunehmend informalisiert,<br />

Produktions- und Verkaufsarbeit beinahe ausschließlich von Frauen geleistet.<br />

Als Mc-Job-Unternehmen stützen sich die Großhandelsketten der Bekleidungsbranche<br />

auf externe und quantitative Flexibilität. Innerbetrieblich leben<br />

sie von der Routinisierung der Arbeitsprozesse, außerbetrieblich vom Angebot<br />

an Arbeitskräften, die bereit oder gezwungen sind, die informellen Beschäftigungsbedingungen<br />

zu akzeptieren. Sie sind ersetzbar und zeitlich flexibel einsetzbar.<br />

Die Flexibilitätsanforderungen an die Unternehmen werden an die<br />

Arbeitskräfte weitergegeben. Teilzeit- oder geringfügige Beschäftigung ist für<br />

das Verkaufspersonal die Norm. Diese atypischen Beschäftigungsformen ermöglichen<br />

einen flexiblen Personaleinsatz, der als kostengünstige Strategie saisonal<br />

bedingte Absatzschwankungen auszugleichen vermag. <strong>Das</strong> flexible<br />

Arbeitszeitmodell ist nicht mit der Möglichkeit einer individuellen Zeitgestaltung<br />

im Sinne von Zeitsouveränität gleichzusetzen, vielmehr ermöglicht es den<br />

Unternehmen, über ihr Verkaufspersonal zu verfügen. Im Gegensatz zur<br />

Dynamik der neuen Arbeitsgesellschaft bleibt die Familienarbeit als primärer<br />

Zuständigkeitsbereich für Frauen relativ stabil. Atypische Beschäftigungsverhältnisse<br />

werden unter diesen Umständen als ideale Lösung für die<br />

Vereinbarkeitsproblematik von Beruf und Familie angeboten. Die bekannten<br />

Merkmale weiblicher Berufskarrieren und die Frauen attestierten Eigenschaften<br />

wie Anpassungsbereitschaft, Unterordnung oder soziale Kompetenz sind geradezu<br />

auf das Arbeitsprogramm der neuen Unternehmen zugeschnitten. <strong>Das</strong><br />

eigentliche Dilemma ist, dass informelle Anstellungsverhältnisse – entgegen der<br />

Versprechungen – keine geringere Arbeitsbelastung bedeuten, dass das<br />

Einkommen nicht existenzsichernd ist, Aufstiegschancen kaum vorhanden sind,<br />

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