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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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Art, über ihn zu reden, zeugt von dem grundsätzlichen schweren Konflikt der<br />

Nachkriegsgeborenen. War Gerhard Fassers Vater am Beginn seiner erzählten<br />

Lebensgeschichte ein »Heiliger«, so spricht er später von ihm als einem »glühenden<br />

Nazi«. Diese Wahrheit über seinen Vater sei erst durch seine späteren<br />

Recherchen ans Licht gekommen. Als begeisterter Nationalsozialist hätte er den<br />

Zusammenbruch des Dritten Reiches als einen großen persönlichen Bruch und<br />

Identitätsverlust erlebt und völlig in sich vergraben, resigniert und unauffällig<br />

sein Leben zu Ende geführt. Heute ist ihm die Beziehungsambivalenz zu seinem<br />

Vater bewusst. Die postfaschistische Atmosphäre seiner Kindheit verfolgt ihn<br />

noch immer. Immer wieder, meint er, habe ihn dieses Gefühl der Ohnmacht in die<br />

Flucht und von einer Beschäftigung zur anderen getrieben. Bald wurde ihm auch<br />

das Arbeitermilieu in Wilhelmsburg zu eng; seine Solidarität mit den Arbeitern<br />

verlor sich in der Realität der unüberwindlichen Klassenbarrieren.<br />

Nach diesen Erfahrungen trat Gerhard Fasser in das Benediktinerkloster<br />

Seckau als Mönch ein. Ein überraschender Schritt, lässt doch die Familiengeschichte<br />

keine Affinität zum religiösen Feld erwarten. Selbst die regelmäßigen<br />

Kirchenbesuche mit seinen Eltern entsprachen doch eher der Erfüllung eines<br />

sozialen Rituals, als einer ethischen Haltung, eher einem Versuch der öffentlichen<br />

Rehabilitation des Vaters, die alle Familienmitglieder mitzutragen hatten, aber<br />

keiner auch nur angedeuteten religiösen Überzeugung. Und dennoch entschlüsselt<br />

sich dieser Schritt wiederum als logische Konsequenz. Der Erste, der ihn aus<br />

dem abgeschlossenen, engen familiären Raum herausgeführt hatte, war ein junger<br />

Mönch. Mit seiner Hilfe konnte er die mentale und psychisch kleinbürgerliche<br />

Struktur überwinden und sich auf den Weg machen. Was er seitdem gesucht<br />

habe, so Gerhard Fasser, war »immer das Gleiche, nämlich das Sakrale«, ein<br />

nachvollziehbares, psychisches Bedürfnis, der familiären nationalsozialistischen<br />

Vergangenheit zu entkommen. Zum anderen entspricht seine Entscheidung der<br />

postmodernen Generation, die sich nach der Epoche der Abrechnung mit der<br />

faschistischen Elterngeneration in den 70er Jahren, jetzt in den 80ern, ein anderes<br />

Leben mit anderen Werten kreiert. Während sich die einen nach Indien aufmachten,<br />

wählte Gerhard Fasser den Weg in das Klosterleben. <strong>Das</strong>s dieser Weg<br />

mit der Bereitschaft verbunden war, sich dem autoritären Denken anzuschließen,<br />

gehorcht den Formen des New Age der späten 80er – aber auch vielen beredten<br />

Beispielen politischen Agierens dieser Zeit. 162<br />

Unprätentiös erzählt er von den vier Jahren seines Mönchdaseins. Wie zu<br />

erwarten, stellte sich auch hier bald die Erfahrung der Enge und der Enttäuschung<br />

in der manifesten Widersprüchlichkeit der Realität des Ordenslebens ein, eines<br />

Ordens, »der spirituell das Armutsgelübde hat, aber kollektiv zu den reichsten<br />

Orden gehört«. Seine Hoffnung auf die Geborgenheit unter Gleichgesinnten<br />

erfüllte sich nicht in dieser Gemeinschaft, in der der Einzelne und seine individuelle<br />

Begabung nicht zählen. Sein Eintrittsmotiv begründete somit bereits seinen<br />

Ausstieg.<br />

Er zeigt mir ein Foto aus dieser Zeit und fordert mich auf, ihn in der Gruppe<br />

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