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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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geworden, und dann erkennt er plötzlich, das ist nicht mein Beruf. Der kann doch<br />

nicht das Handtuch werfen und aufhören. Er muss ja existieren können, er<br />

braucht ja eine Lebensgrundlage. Irgendwie sind die alle wie in einem Überdrukkkochtopf.<br />

Vor der Explosion. Und die Folgen können unter Umständen… Na ja,<br />

einstweilen geht es noch.<br />

Juli 2001<br />

Ein Jahr später<br />

Als ich Herrn Winter ein Jahr nach unseren Gesprächen wieder aufsuchte,<br />

bestätigte er die desaströse Entwicklung. Er nimmt sich kein Blatt mehr vor den<br />

Mund, erzählt, was verloren ist, ohne Bedacht auf seine Rolle als Staatsdiener zu<br />

nehmen. Ausgerechnet für seine Schule wurden die Ressourcen so gekürzt, dass<br />

die Sprach- und Sportprofilierung gefährdet ist. Die Mühen, den Standort der<br />

Schule durch Angebote attraktiv zu halten, werden ihm jetzt sinnlos. <strong>Das</strong> Viertel<br />

zeige nun noch deutlicher die Spuren der sozialen Verelendung. Die Schüler<br />

könnten daher nicht mehr ohne Bewachung vor herumstreunenden Banden in den<br />

nahen Park. Von Gewalt und Drogenproblemen spricht er <strong>ganz</strong> offen. Die<br />

Auswirkungen des Standortes zeigten sich nun nicht nur im sozialen, sondern<br />

auch im ökonomischen Unterschied zu anderen Schulen. Nie und nimmer, wenn<br />

er das alles vor einem Jahr gewusst hätte, hätte er die Schule übernommen. Sein<br />

Lebensvertrag, für eine bessere Zukunft der Schule zu arbeiten, für die Erfüllung<br />

der Werte, unter denen er seine Laufbahn einmal angetreten und auf die er noch<br />

vor einem Jahr, wenn auch zweifelnd, gesetzt hatte, ist ihm zerbrochen. Was<br />

geblieben ist, sei ein zukunftsloses Opfer.<br />

Sie sind gerade dabei, acht Lehrerposten zu streichen. <strong>Das</strong> war voriges Jahr<br />

noch anders.<br />

Herr Winter – Voriges Jahr, da war ich ja mit Enthusiasmus dabei, mit einer solchen<br />

Freude habe ich den Posten angenommen, obwohl ich ja schon vorher gesehen<br />

habe, dass das von Jahr zu Jahr schlechter wird. Aber so wie das heuer gewesen<br />

ist… Mit der Brechstange haben die die <strong>ganz</strong>e Schule zertrümmert. Sprachen<br />

wurden wegrationalisiert, unsere Chemieolympiade, das Orchester, Bildnerische<br />

Erziehung, Leibesübungsstunden. Da wird immer von einem hochwertigen<br />

Unterricht geredet… Wie soll das gehen? Die Realität ist, dass ich jetzt gerade<br />

achteinhalb Lehrerstellen einsparen muss. Da rechne ich und versuche umzuschichten,<br />

was halt noch geht. Die Schülerzahlen sind in den Klassen erhöht worden,<br />

mit allen Nachteilen, die das bringt. Da werden Aggressionen angestaut, die<br />

sich dann entladen. Die Lehrer können nicht mehr auf die Schüler eingehen,<br />

schon gar nicht auf die, die das dringend brauchen. Alles ist unmöglich geworden.<br />

Da habe ich jetzt Englischklassen mit 29 Schülern. Wenn mir einer sagt, dass<br />

das zielführend ist, dann zweifle ich an seiner Intelligenz. <strong>Das</strong> Klima in der<br />

Schule leidet, und wie! Ich muss ja die Fächer zusperren, wo eben kein<br />

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