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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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verhältnismäßig alt, als sie als zweites Kind auf die Welt kam. Als sie 13 war,<br />

erfüllten sich die Eltern ihren lang gehegten Traum: Sie verließen die deutsche<br />

Stadt, in der sie bis dahin gelebt hatten und zogen nach Österreich, um den Rest<br />

ihres Lebens am Land zuzubringen. Magdalena musste sich dem Rhythmus ihrer<br />

pensionierten Eltern anpassen. Obwohl sie Altvertrautes vermisste, konnte sie die<br />

neue Umgebung bald genießen. In unserem Gespräch erinnerte sie sich daran,<br />

wie sie mit Bleistift und Papier die Schönheiten der Landschaft festzuhalten versuchte.<br />

Sie meinte, ihre Kreativität als Wissenschaftlerin nun in Form der Textproduktion<br />

auszuleben.<br />

Heute wohnt Magdalena in einem Stadtteil von Graz mit einem hohen Anteil<br />

an jungen Akademikerinnen, Akademikern und Jungfamilien. Am Stadtrand,<br />

gerade noch eingebunden ins öffentliche Verkehrsnetz, aber alten Gärten nahe<br />

genug, um sich wohl zu fühlen, lebt sie alleine in ihrer Wohnung. Sie fühlt sich<br />

nicht einsam. Immer wieder gibt es Beziehungen. Ihr Alleinleben ist weder<br />

bewusst gewählt, noch eines um jeden Preis, in dem Männer keinen Platz haben.<br />

Sie bindet ihren Lebensentwurf in erster Linie an den Beruf und an finanzielle<br />

Unabhängigkeit. Kinder zu kriegen und eine beständige Partnerschaft zu haben,<br />

zählen nicht zu ihren aktuellen Zukunftsperspektiven. Sie hat sich aus der für ihr<br />

Herkunftsmilieu nicht hinterfragten Selbstverständlichkeit des weiblichen<br />

Rollenbildes ohne Widerstände und krisenhafte Identitätserfahrungen herausgelöst.<br />

<strong>Das</strong> Bild der alleinlebenden Frau wird heute im städtischen Umfeld als<br />

Normalität erfahren, während Frauen der vorigen Generation ihr Alleinleben erst<br />

nach krisenhaften Jahren als Gewinn verbuchen konnten. Magdalena ist die<br />

Emanzipation aus der tradierten Rolle der Mutter und Hausfrau in die berufliche<br />

Karriere gelungen. Der berufliche Aufstieg kostet sie aber enormen Aufwand an<br />

Zeit und Energie. Es bleibt zu fragen, ob Beruf und Familie überhaupt in<br />

Einklang gebracht werden könnten.<br />

Magdalena verfügt über ein großes Beziehungsnetz. Sie bedauert, dass ihr<br />

wenig Zeit bleibt, es zu nützen. Sofern es für sie Freizeit gibt, verbringt sie diese<br />

mit ihrer alten Mutter, die seit dem Tod ihres Mannes in Graz lebt. Die Art, wie<br />

sie über diese Fürsorgepflicht spricht, erschien mir als verschwiegenes Übereinkommen<br />

zwischen Tochter und Mutter, als ein Sozialvertrag, der nie ausgehandelt<br />

werden musste. Diese Bindung widerspricht den Anforderungen, die ihr<br />

Beschäftigungsverhältnis an der Universität an sie stellt. Die zwanghafte Mobilitätsforderung<br />

auf allen Ebenen, die Freiheit in Zeit und Raum suggeriert, passt<br />

nicht zu einem Lebenskonzept mit dauerhaften Beziehungen und familiären<br />

Betreuungspflichten. Zwei Wirklichkeiten mit unterschiedlichen sozialen Orientierungen<br />

und unvereinbaren kulturellen Geschwindigkeiten prallen aufeinander.<br />

Im mittelständischen Milieu sozialisiert, war sie bereit, den Preis zu zahlen, der<br />

für die Verwirklichung einer wissenschaftlichen Karriere verlangt wird. Ihr bisheriges<br />

Leben scheint permanent für eine berufliche Zukunft geopfert worden zu<br />

sein. 178 Nicht selten sprach sie von hundertprozentigem Leistungseinsatz, von<br />

Entbehrungen und unbedingter Konsequenz im Berufsalltag, der weit mehr als 40<br />

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