20.11.2014 Aufrufe

(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

von etwa 25 Ordensleuten zu finden. Es gelingt mir nicht. In der Reihe der jüngeren<br />

Mönche hinter den sitzenden ehrwürdigen alten Herren sollte er zu entdekken<br />

sein. Der bezeichnete junge Mönch wirkt sichtlich deprimiert. Sein Gesichtsausdruck<br />

und seine Haltung zeigen aber dann doch etwas von dem, was ich an<br />

Gerhard Fasser wiedererkennen, woran ich ihn dann doch identifizieren kann: Es<br />

ist seine im Blick erkennbare Ausgegrenztheit, die an seiner Haltung sichtbare<br />

Desintegration. Wie er auf dem Foto keine Zeichen der symbolisch aufgeladenen<br />

Würde der übrigen Ordensmänner erkennen lässt, zeigt er auch jetzt keinerlei<br />

Spuren seines Berufsstandes. Als Bruder Augustinus ist er in der dichten Gruppe<br />

der Mönche ein Fremder, so wie er es in der Gruppe der Lehrer zu sein scheint.<br />

Den Grundgedanken der Mitmenschlichkeit hat er mitgenommenen. Er ist für ihn<br />

noch immer eine brauchbare Basis, aber die gesellschaftliche Funktion von<br />

Religion, eine Rechtfertigung seines <strong>Das</strong>eins als Gleicher in der Gruppe<br />

Gleichgesinnter, in Geborgenheit anstatt Verlassenheit, hat er an diesem institutionellen<br />

Ort des Glaubens, in der Klosterwelt, nicht gefunden. 163 Im Gegenteil.<br />

Sein Motiv des Ordenseintritts stößt auf radikale Unvereinbarkeit mit der<br />

Hierarchie des Ordens, die der Autorität des Glaubens und nicht seinen religiösen<br />

Laieninteressen gehorcht. Nach vier Jahren Ordenszeit zog der mittlerweile 25-<br />

Jährige nach Wien. Mit einem kleinen Koffer seiner persönlichen Habseligkeiten<br />

begann er wieder von vorne.<br />

Jetzt schaffte er die Aufnahme für einen festen Ausbildungsplatz an der renommierten<br />

Wiener Kunstakademie und begann sich künstlerisch zu betätigen. Er<br />

erzählt mir davon, als wäre das für ihn ein <strong>ganz</strong> normaler, eben ein nächster<br />

Schritt. Dieser Leistung gesteht er nichts Besonderes zu, schließlich habe sie ihm<br />

auch gleichzeitig die totale Abwertung der Familie eingebracht, die ihn nicht nur<br />

als Versager, sondern nun auch »als Spinner abgetan« hatte. Dem Aufstieg in das<br />

Feld der Künstler und Künstlerinnen und des Kunstbetriebes folgte bald die<br />

Enttäuschung. Die gesellschaftspolitisch interessierte Community, wie er sie in<br />

den späten 70ern in dieser Szene noch vorgefunden hatte, die Solidaritätsbekundungen<br />

der Intellektuellen und Künstler und Künstlerinnen mit der<br />

Arbeiterklasse, der Aufbruch der sozialen Tabuisierungen durch die künstlerische<br />

Avantgarde, das alles war in den späten 80ern kein verbindendes Thema mehr.<br />

Stattdessen stieß er auf das Spiel von Macht und Ohnmacht unter dem Diktat des<br />

Marktes. In diesem Milieu fand er als nichtetablierter Künstler keine Aufnahme,<br />

es blieb auch seiner Wertewelt fremd. Seine Hoffung auf eine soziale und ideologische<br />

Übereinstimmung, auf ein verbindendes politisches Bewusstsein und eine<br />

gesellschaftspolitische Kunstkultur, erfüllte sich nicht. Was er antraf, war die<br />

gleiche Zersplitterung, die er schon einmal erlebte: Dort Arbeiter und Arbeiterinnen,<br />

die sich von den »Russen, den KPÖlern« 164 distanzierten, hier Künstler<br />

und Künstlerinnen, die sich mit dem Markt arrangierten. Sein beherzter Entschluss,<br />

sich als Künstler der Welt der Arbeiter zu widmen, fällt nicht mehr auf<br />

jenen Boden, den er sich erwartet hatte. Zu groß war der Unterschied, was er mit<br />

dem Vergleich, »wenn ein Künstler sich zu Grunde richtet, dann ist er ein Held,<br />

154

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!