20.11.2014 Aufrufe

(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Leben. <strong>Das</strong> ist passiert, da kann ich nichts dafür. Und deswegen ist mir das hier<br />

weniger wichtig, was hier passiert. Einmal war ein Treffen, das war in der Schule<br />

da vorne. Dort haben wir ein Treffen gehabt, was weiß ich. Von der Hausverwaltung<br />

war jemand dort, dann vom Jugendamt. Da war gerade die schlimmste<br />

Zeit. Da war ich auch mit meiner Tochter. Wie viele Leute waren da? 40 oder so,<br />

von der <strong>ganz</strong>en Siedlung. Aber da ist nur Streit herausgekommen. Und lauter<br />

Blödsinn und jeder hat geschrieen und da habe ich mir gedacht, da kann man<br />

nicht normal diskutieren, da kann man nicht normal reden. Da habe ich mir<br />

gedacht, das geht nicht. Dann haben sie gesagt, sie machen ein Theater, also ein<br />

Theaterstück, das zeigen sollte, wie das Leben in der Siedlung ist. Mein Gott,<br />

Leute, habe ich mir gedacht, die meisten wissen wahrscheinlich gar nicht, was<br />

Theater ist. Da habe ich mir gedacht, warum wollen sie hier ein Theater machen?<br />

Also, Theater ist hier eh genug und dann hat meine Tochter gesagt, ich soll da<br />

mitmachen. Also, die haben so eine Liste geschickt, wer mitmachen will und sich<br />

engagieren will und normalerweise hätte ich das gemacht, aber was ich dort<br />

gehört habe, wie die Leute reden und was sie reden und dann hat meine Tochter<br />

gesagt: »Schreib uns auf.« »Nein«, habe ich gesagt, »das ist mein Einsatz. <strong>Das</strong><br />

sind meine Nerven und weißt du was, ich glaube es nicht. Und du musst fest<br />

daran glauben, dass du was verändern kannst, damit du dich wo engagieren<br />

kannst. Ich werde nicht meine Zeit und meine Nerven verschwenden. Für wen?<br />

Keiner sagt danke. Womöglich wollen sie sich noch rächen an mir.« Ich habe einfach<br />

Angst bekommen und habe mir gedacht, nein, so schlecht geht es mir hier<br />

nicht, eigentlich habe ich hier meine Ruhe.<br />

[Im Folgenden kam Melitta noch auf Polen zu sprechen:]<br />

Ich habe mir immer gedacht, dass ich wieder zurück möchte. Aber wissen Sie,<br />

das wird dann immer schwieriger. Ich hatte einen Mann, ein Jahr später ist meine<br />

Tochter geboren worden und dann gibt es so viele Anhaltspunkte und dann ist es<br />

schwer, wieder weg zu gehen.<br />

– Die Gründe hier zu bleiben, wurden immer mehr.<br />

Melitta – Ja, es sind immer mehr Gründe geworden. Und dann denke ich mir,<br />

ich habe jetzt hier mein Zuhause und das Kind ist da und ich bin noch verheiratet,<br />

das hat sieben Jahre gedauert, bis es zur Scheidung gekommen ist, und dann<br />

war es aber auch schwer. Die Sabine war schon in der Schule und eigentlich habe<br />

ich sie zweisprachig erzogen und jetzt kann sie Polnisch und auch noch andere<br />

Sprachen und na ja, das hat sich einfach so ergeben. <strong>Das</strong> bedeutet aber nicht,<br />

wenn ich irgendwann in Pension bin, ich weiß nicht, wie lange ich noch lebe, dass<br />

ich vielleicht nach Polen zurückfahre. Aber jetzt möchte ich noch ein bisschen<br />

arbeiten, dann werden wir sehen.<br />

Juni 2001<br />

335

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!