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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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Tragödie. Ihre Unzufriedenheit ist nicht mehr zu überhören, ihre ehemals selbstverständliche<br />

Loyalität zum Arbeitgeber scheint dahin. Der Unmut erstreckt sich<br />

über alle Schultypen, von Volks- und Sonderschulen bis zu allgemein bildenden<br />

höheren Schulen, berufsbildenden Schulen und Hochschulen.<br />

Zur österreichischen Schulentwicklung oder das Drama der halben<br />

Reform<br />

Die österreichische Schulsituation verdankt ihre Besonderheit der jahrzehntelangen<br />

Geschichte der Reformbemühungen. Heute sprechen Kritiker allerdings<br />

nicht mehr von Reformen, sondern nur noch von einem akuten Krisenmanagement,<br />

das von oben eingesetzt werde und als ein strategisches Konzept nicht mehr<br />

erkennbar, für die Betroffenen nicht mehr nachvollziehbar sei. 131 Nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg als dreisäuliges Schulsystem für 10- bis14-Jährige mit Volksschule,<br />

Hauptschule, und Gymnasium organisiert 132 , wurde es 1962 in einer ersten<br />

großen Reformierungswelle in ein zweisäuliges (Hauptschule, Gymnasium) übergeführt.<br />

<strong>Das</strong> entsprach einem typisch österreichischen Kompromiss zwischen dem<br />

Dreisäulenmodell Deutschlands (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) und dem<br />

Modell der Gesamtschule anderer westeuropäischer Länder. Mit einer gleichzeitigen<br />

massiven Bildungsoffensive sollte eine verlängerte Ausbildung bis zur Hochschulreife<br />

und damit den Angehörigen aller sozialen Schichten der Zugang zu<br />

Universitäten ermöglicht werden. Bis dahin ließ sie die hierarchische Bildungsordnung<br />

quasi selbstverständlich akzeptieren, dass nicht jeder Mensch die gleichen<br />

Chancen zum Zugang zu höheren Schulen hat. Tatsächlich fanden mit dieser<br />

Reform auch Jugendliche – vor allem Mädchen – aus bäuerlichen und kleingewerblichen<br />

Familien und aus dem Arbeitermilieu Zugang zu höheren Abschlüssen.<br />

An der grundsätzlichen geschlechts- und milieuspezifischen Benachteilung 133<br />

änderte sich dennoch wenig. Zu sehr blieb die Gesellschaft an eingefleischten<br />

Normen und Werten orientiert. Dazu kam, dass in der Zeit, als die Jugendlichen<br />

vor den Berufslaufbahnen standen und sich die Bildungsexpansion auch erstmals<br />

empirisch positiv niederschlagen hätte können, sich der Arbeitsmarkt durch das<br />

Ende der Hochkonjunktur wieder zu schließen begann. In der immer enger werdenden<br />

Arbeitsplatzsituation und bei gleichzeitigem Anstieg von Bildungsabschlüssen<br />

verminderte sich der reale Wert der Abschlüsse. So begann die<br />

Bildungsexpansion regelrecht den gegenteiligen Effekt zu produzieren.<br />

Angesichts der Karriere der AHS verlor von da an die Hauptschule an sozialem<br />

Image. In den Städten degradierte sie zu einer »Restschule«, womit der sozialen<br />

Segregation sowohl für die weiterführende Schullaufbahn als auch für den späteren<br />

Arbeitsmarkt wieder Tür und Tor geöffnet wurde. 134 Versuche, diese Entwicklung<br />

durch eine für alle Kinder offene Gesamtschule im Sekundarbereich aufzuhalten,<br />

scheiterten immer wieder sowohl an der konservativen Bildungstradition<br />

als auch an der politischen Besonderheit, die die Schulgesetze in den Verfassungsrang<br />

gehoben hat und die bis heute nur mit Zweidrittel-Mehrheit geän-<br />

126

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