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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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Herr Winter – Wir versuchen ihn mitzunehmen. Wir versuchen ihm die<br />

Schwierigkeiten, soweit wie möglich ein bisschen zu erleichtern. Schaffen muss<br />

er die Schule selber. Jetzt muss er das dritte Mal wiederholen. Im Herbst. Ich habe<br />

mit ihm ein Agreement abgeschlossen. Er ist auf sich allein gestellt, ist 19 Jahre,<br />

wohnt alleine, muss für sich selber aufkommen. Er arbeitet teilweise im Grazer<br />

Congress und verdient sich da etwas dazu. Er ist ein Außenseiter, was seine<br />

Kleidung betrifft, gepierct und so Zeugs. Aber wir haben uns geeinigt, wenn er<br />

regelmäßig in die Schule geht, dann bekommt er noch eine Chance. Wenn er die<br />

nicht nutzt, dann kann ich nichts mehr für ihn tun. Schaffen muss er es allein. Er<br />

muss sich selber am Schopf packen. Es hilft nichts. Aber das ist nicht ein<br />

Einzelfall. Es gibt so viel Probleme. Eben dadurch, dass die Familien nicht funktionieren.<br />

<strong>Das</strong> ist für mich viel gravierender als die materielle Notsituation.<br />

– Können Sie auch außerhalb der Schule helfen?<br />

Herr Winter – <strong>Das</strong> ist kaum möglich, wie im Falle des jungen Mannes, der hat<br />

einen Streetworker, der ihn betreut und begleitet. Aber ob das funktioniert? Ich<br />

glaube nicht. Der Klassenvorstand hat natürlich alles mögliche getan, um ihn zu<br />

fördern und zu helfen. Ich versuche das Meinige beizutragen. Ich rede immer<br />

wieder mit ihm. Da sind viele ähnliche Fälle, Kinder aus schwierigen und<br />

gescheiterten Familien, die nicht zurechtkommen. Sie wissen gar nicht, was das<br />

Kraft kostet. Man sieht das <strong>Elend</strong>, man sieht die Schwierigkeiten, versucht zu<br />

helfen. Und bei jeder Hilfeleistung bleibt ein Stück von einem selber da liegen.<br />

<strong>Das</strong> verlangt sehr viel Kraft. Jetzt bin ich seit zwei Monaten Leiter der Schule.<br />

Aber was ich da schon an derlei Gesprächen gehabt hab [an dieser Stelle wird<br />

seine Stimme leiser und wirkt erschöpft:] mit den Müttern, mit den Vätern, mit<br />

den Kindern, mit allen zusammen. <strong>Das</strong> habe ich mir nicht so vorgestellt, dass es<br />

so viel <strong>Elend</strong> gibt. <strong>Das</strong> geht mir wirklich nahe. Aber ich weiß nicht, ob das allein<br />

der Umgebung meiner Schule zugelastet werden kann. Vielleicht verschieben<br />

sich die Probleme nur. Dort, in den Vierteln der Wohlhabenden, die so genannte<br />

Wohlstandsverwahrlosung ist dort zu finden, während bei uns eben die Kinder<br />

aus zerrütteten Familien kommen. Dort ist es so, dass die Kinder einen Batzen<br />

Taschengeld kriegen, so: »Ich will meine Ruhe haben, mach mit dem, was du<br />

willst.« Ja, ich weiß es nicht, aber vom Gespür her sehe ich das so. <strong>Das</strong> findet<br />

man hier nicht. Wir haben hier Kinder hauptsächlich von armen Eltern. Natürlich<br />

haben wir viele Kinder aus intakten Familien. <strong>Das</strong> merkt man dann auch an den<br />

Schülern, die wirklich in einer Familie aufwachsen können, wo alles stimmt.<br />

– <strong>Das</strong> ist ein Problem. Und dann heißt es, die Lehrer sind schuld.<br />

Herr Winter – Ich bin sehr betroffen darüber, dass wir derart abgewertet in der<br />

Öffentlichkeit dastehen. Ja, das schlechte Image der Lehrer, das ist wohl von den<br />

Publizisten verbreitet worden, wir hätten nur einen Halbtagsjob und bekämen viel<br />

zu viel bezahlt im Verhältnis zu dem, was wir leisten. Und die meinen, wir wären<br />

an der problematischen Entwicklung der Jugendlichen noch schuld. Aber nehmen<br />

wir einen Klassenvorstand her. Was der alles investiert, der hat wirklich zu kämpfen.<br />

Was der an Zeit hineininvestieren muss, um mit diesen Schwierigkeiten über-<br />

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