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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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Büro. Vor dem großen Fenster steht sein Bürotisch mit Computer, davor ein Tisch<br />

mit zwei Sesseln, wo wir Platz nehmen. Im Gegensatz zu unserem ersten Treffen<br />

scheint er nervös zu sein. Er hat noch einen wichtigen Termin. Ohne Zeit zu verlieren,<br />

teile ich ihm mit, was ich noch besser verstehen wollte, nämlich wieso er<br />

als »Versager« in seiner Familie gelte. Außerdem wollte ich noch einmal auf<br />

seine Arbeit zu sprechen kommen.<br />

Heute erzählt er nicht, er erklärt und versucht, sich selbst zu erklären. Er übt<br />

eine Art Selbstkritik aus, ohne sich von seinen Gefühlen und Emotionen lösen zu<br />

können. Seine Abreise sei wohl eine Flucht nach dem Scheitern seines erprobten<br />

Widerstandes und die Voraussetzung für sein Überleben gewesen, eine legitime<br />

Reaktion auf den sozialen und moralischen Zwang der strukturellen Bedingungen<br />

seiner Lebenswelt, die er im ersten Gespräch mit seinem Innenblick und nun mit<br />

seinem Außenblick kritisch zu betrachten versucht. Nach vielen Jahren der<br />

Auseinandersetzung mit sich selbst verstehe er nun die Enttäuschung seiner<br />

Eltern, wenn er sie besucht. Schließlich strebe er weder das Leben, noch die<br />

üblichen materiellen Werte eines Gastarbeiters an und könne keine der Symbole<br />

des erfolgreichen »facancier« 255 vorweisen. Maleks Haltung, für die er sich<br />

bereits als Schüler und Student stark machte, und die er nun im Verein als Berater<br />

vertritt, bildet den Kern seiner praxisgewordenen humanistischen Weltanschauung.<br />

Sie ist aber gleichzeitig der Kern seiner gegenwärtigen Probleme. <strong>Das</strong>s er<br />

seine Arbeit nicht mehr ausführen und seinen Idealen nicht mehr gerecht werden<br />

kann, hat zu einer persönlichen Krise geführt.<br />

Malek spricht aus seiner Erfahrung, die von Menschenschicksalen und nicht<br />

von Mindestquoten ausgeht. Seine Überzeugung, dass Asylwerber nicht wie<br />

Verbrecher inhaftiert werden sollten, hört sich wie ein Appell an, ein Hilferuf, den<br />

die »Verdammten dieser Erde« 256 von heute an die westlichen Demokratien richten.<br />

Angesichts der aktuellen regressiven Asylgesetzentwicklung klingt seine<br />

Ansicht wie eine Utopie, an deren Umsetzbarkeit er selbst zweifelt. Er braucht<br />

Abstand und Distanz, um wieder zu sich zu finden. Es ist auch kein Zufall, wenn<br />

Malek sich derzeit mit der Glaubensfrage beschäftigt, ist es doch das Leiden, das<br />

Menschen bewegt, nach möglichen Antworten in Angeboten der Religionen zu<br />

suchen. 257 In seiner zwischen den Kulturen geprägten Lebensgeschichte, die<br />

seine »hybride Identität« 258 kennzeichnen, befindet sich Malek zwischen dem<br />

Islam, der das religiöse und säkulare Leben seiner Herkunftskultur bestimmt und<br />

dessen fundamentalistische Ausprägung seit dem 11. September 2001 im Westen<br />

verteufelt wird, und dem traditionellen Katholizismus Österreichs. Auch hier<br />

beeinflussen religiöse und politische Machtverhältnisse das Denken und Handeln<br />

der Menschen und führen zur Verkennung ihrer wechselseitigen Machtmechanismen.<br />

259 Selbst wenn Malek die religiöse Frage für sich gelöst zu haben scheint,<br />

und ihr mit Offenheit zu begegnen versucht, kann er der sozialen Wirksamkeit im<br />

Alltag und in seinen familiären Beziehungen kaum ausweichen. Er kritisiert die<br />

konsequente religiöse Haltung seines Vaters heftig und er lehnt die Koranschriften,<br />

die Gehorsam und blinden Respekt einfordern, strikt ab. Gleichzeitig<br />

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