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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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und entschied sich dafür, »Gas« zu geben. Er verbrachte <strong>ganz</strong>e Nächte in Lokalen,<br />

verschlief, kam zu spät zur Arbeit oder machte blau. Er wollte sich von niemandem<br />

mehr etwas sagen lassen und setzte schließlich auch die Lehrstelle aufs<br />

Spiel, um mit seinen Freunden mitzuhalten. Daraufhin wurde er wegen<br />

Disziplinlosigkeit, kurz vor Beendigung seiner Lehre, gekündigt. Er musste auch<br />

das Jugendwohnheim verlassen. Einige Nächte verbrachte er auf Parkbänken.<br />

Nach eineinhalb Monaten griffen Armins Verwandte ein und finanzierten ihm aus<br />

der Verlassenschaft der Großmutter ein kleines Zimmer. Auch die bald folgende<br />

Bundesheerzeit und die Zeit danach wurden für Armin erwartungsgemäß zu einer<br />

schwierigen Phase. Seine alten sozialen Netze hatten sich längst aufgelöst, beim<br />

Heer fand er keinen Ersatz. Nach seinem Wehrdienst stand Armin wieder ohne<br />

Arbeit da. Eigentlich wollte er auch keine. So betrieb er während der rapid wachsenden<br />

Arbeitslosigkeit eine aussichtslose, weil halbherzige Arbeitssuche mit der<br />

Einstellung, »wehe, du gibst mir einen Job«. Abends trieb er sich mit Leuten in<br />

Gaststätten herum, »die sich nicht wirklich erschlagen vor Arbeit«. Sie seien zwar<br />

nicht kriminell gewesen, aber »asozial und Möchtegern-Strizzis«. Auch wenn sie<br />

ihm im Rückblick eine »recht traurige Partie« waren, so habe er sich mit ihnen<br />

wohlgefühlt. Als seine Freundin damit drohte, ihn zu verlassen, bewarb er sich<br />

über eine Zeitungsannonce bei seiner Reinigungsfirma, einfach »um es einmal<br />

auszuprobieren« und fand sich wieder in einem »Transitbus mit neun Sitzplätzen<br />

[…] und wenn der Bus voll war, waren da 100 Jahre Häfen«.<br />

Als wir uns zwei Monate nach diesen ersten Kontakten wiedertrafen, drehte<br />

sich unser Gespräch um angekündigte, größere Veränderungen in der Firma. Er<br />

hoffte auf Verbesserungen im Qualifikationsbereich. Davon sei jetzt jedoch keine<br />

Rede mehr. Seine Abteilung mit etwas mehr als 30 Arbeitern wurde in der<br />

Zwischenzeit »abgespeckt«, das heißt, einige seiner Arbeitskollegen sind von<br />

selbst gegangen, einige wurden entlassen. Er erzählt von einer generell zu erwartenden<br />

»Straffung« der Firmenstruktur und weiß, dass hinter dieser Sprachfassade<br />

die herkömmlichen Einsparungsmaßnahmen bei der Entlohnung und<br />

Personalreduktionen stecken. Es sind vor allem die Älteren im Betrieb bedroht,<br />

diejenigen, die körperlich nicht mehr mithalten können, die Zeitvorgaben nicht<br />

einhalten können und die mit der »Aussortierung« das Ende ihres Arbeitslebens<br />

erwartet. Sie haben auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen mehr. Seine eigene<br />

Anstellung sieht Armin nicht gefährdet. Er hofft nun sogar, offiziell in die<br />

Position des Vorarbeiters seiner Abteilung aufzusteigen. Aber er weiß über die<br />

Unsicherheit angekündigter Veränderungen Bescheid und kommentiert sie mit<br />

sarkastischer Nüchternheit. Weniger gelassen steht er den angekündigten Firmenberatern<br />

gegenüber. Er erwartet, dass da »irgendein 25-Jähriger von der Uni«<br />

kommt, der »uns erzählt, wie wir alles 20 Jahre lang falsch gemacht haben«.<br />

Damit könnten auch Armins Trümpfe, seine jahrelange Erfahrung und sein<br />

Wissen, mit einem Schlag entwertet werden.<br />

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