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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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Belgien und Deutschland, wo er seine Brüder traf, nach Marokko zurück.<br />

Jetzt war er fest entschlossen, seinen Präsenzdienst zu leisten. Als Zivildiener<br />

im Verwaltungsbereich des Innenministeriums wurde er nun Zeuge politischer<br />

Korruption, an der höchste Repräsentanten seines Landes, jene, die ohnehin materielle<br />

und symbolische Privilegien genossen, beteiligt waren. Bestechungsgelder<br />

für kleine Beamte und der Missbrauch öffentlicher Gelder auf allen Stufen der<br />

politischen Hierarchie waren gang und gäbe. Nepotismus, männliche Bündniswirtschaft<br />

und die Manipulation der Wahlergebnisse zählten zur Praxis staatlicher<br />

Macht und Gewalt (»Wie eine Krankheit, wie ein Wurm, der den Baumstamm<br />

von innen frisst.«).<br />

Nach einigen Monaten war seine Entscheidung, das Land endgültig zu verlassen,<br />

gefallen. Seine zwei Dienstjahre erduldete er noch. Seinen Idealen von<br />

Moral und Integrität blieb er treu. 254 Obwohl er – aufgrund der Beziehungen seines<br />

Vaters – nun die Chance gehabt hätte, einen guten Posten im Ministerium zu<br />

bekommen, weigerte er sich. Nun musste er gehen. Hier länger zu bleiben, hätte<br />

zumindest seinen kulturellen Tod bedeutet (»Aber ich krepiere hier.«). Die<br />

Enttäuschung seines Vaters verfolgt ihn heute noch wie ein Fluch. Malek wurde<br />

zum Versager der Familie abgestempelt. 1984 reiste er endgültig ab. Er fuhr abermals<br />

nach Graz. Diesmal mit der Intention, sein Studium der Politikwissenschaft<br />

abzuschließen. Dieser Studienzweig existiert an der Grazer Universität nicht, so<br />

versuchte er es in Wien, wo schließlich sein bisheriges Studium nicht anerkannt<br />

wurde. Entmutigt fuhr er zurück nach Graz und wechselte zum Übersetzerstudium.<br />

Hier konnte er eine wesentliche Trumpfkarte zum Einsatz bringen, nämlich<br />

seine Sprachkenntnisse in Arabisch, Spanisch und Französisch. 1987 lernte er<br />

seine zukünftige Frau kennen. Damals lebte er von seinem Stipendium und arbeitete<br />

stundenweise als Deutschlehrer für Flüchtlinge bei der Caritas. Als seine<br />

Frau schwanger wurde, brauchte er einen Job. Malek bewarb sich bei der<br />

Stellenausschreibung einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge und wurde angestellt.<br />

Hier ist er heute noch beschäftigt.<br />

<strong>Das</strong> Läuten des Telefons unterbricht seine Erzählung. Als ich zurückkomme,<br />

steht Malek auf und zeigt mit dem Finger auf seine Uhr, es ist Zeit für ihn zu<br />

gehen. Dann zündet er sich noch eine Zigarette an und erwähnt kurz die schwierige<br />

Beziehung zu seinem Vater.<br />

<strong>Das</strong> zweite Gespräch fand an seinem Arbeitsplatz statt, im Parterre eines<br />

Wohnhauses im Griesviertel, das die größte Konzentration an ausländischer<br />

Bevölkerung in Graz verzeichnet. Hier befindet sich die Vereinszweigstelle mit<br />

ihren Büros für rechtliche Beratung, für sozialmedizinische und psychotherapeutische<br />

Betreuung von Asylwerbern, Folteropfern und Flüchtlingen. Ich höre<br />

Stimmen hinter einer Tür. Die wöchentliche Teamsitzung ist noch im Gange. Ich<br />

setze mich in die ehemalige Küche, deren bunt zusammengesetzte Einrichtungsgegenstände<br />

an die Menschen erinnern, die hierher kommen. Malek kommt<br />

augenscheinlich gestresst aus der Sitzung. Er hat noch einige wichtige Anrufe zu<br />

tätigen, dann lässt er mich in sein geräumiges und helles, frisch ausgemaltes<br />

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