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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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über Leistung und Erfolg definierte und in der die Nachfrage ausländische<br />

Arbeitskräfte willkommen sein ließ, gelang es ihm, sich Respekt zu verschaffen.<br />

Dennoch offenbart seine gelungene Integration auch jene Prekarität, mit der die<br />

Arbeitssituation von Migranten und Migrantinnen generell belegt ist. Im Gegensatz<br />

zu den Einheimischen musste er die Anerkennung immer wieder neu<br />

erkämpfen, seine Leistung und Loyalität immer wieder beweisen, da sie ihm<br />

jederzeit in Abrede gestellt werden könnte.<br />

Er hat die Spielregeln erkannt und anerkannt, was an seinem Verhältnis zur<br />

deutschen Sprache deutlich wird. Es regt ihn auf, dass von Ausländern zwar verlangt<br />

wird, Deutsch zu sprechen, dass ihnen gleichzeitig aber das Erlernen der<br />

Sprache durch die Reduktion von Verben ins Infinitiv von Einheimischen<br />

erschwert wird. Ein Phänomen, das in der Baubranche besonders verbreitet ist.<br />

Jurij kämpfte dafür, »<strong>ganz</strong> normal« behandelt zu werden, als ein gleichwertiges<br />

Mitglied der Gesellschaft. Nach seiner Lehrzeit blieb er in Graz, holte seine Frau<br />

aus Slowenien und bezog mit ihr eine eigene Wohnung. Aus seiner Lehrzeit, in<br />

der er während der Woche im Bauarbeiterwohnheim lebte, stammen viele seiner<br />

Kontakte zu anderen ausländischen Arbeitern. Jurij wurde wegen seiner Integrationsbereitschaft<br />

sowohl für die österreichischen als auch jugoslawischen, tschechischen<br />

und polnischen Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen zu einem Verbindungsglied<br />

und zu einem Ansprechpartner, an den sich die Arbeitgeber wie auch<br />

die Arbeiter bei Suche oder Vermittlung von Arbeit mit Vertrauen wenden konnten.<br />

So gründete er einen Klub slowenischer Immigranten in Graz, in dem nicht<br />

nur Slowenen und Sloweninnen, sondern auch Einheimische, Gastarbeiter und<br />

Gastarbeiterinnen verschiedenster Nationen eingebunden waren. Jurij trat gegenüber<br />

den Behörden als Garant für die Integrität des Vereins auf. Die Auflösung<br />

1991, »als Jugoslawien zerbrochen wurde«, war für ihn ein schwerer Schlag. Um<br />

den Behörden zuvorzukommen und um das Gesicht seines angesehenen, als apolitisch<br />

geachteten Vereins zu wahren, legte er den Klub still. Nach dem Zusammenbruch<br />

Jugoslawiens war die Rekonstituierung im Rahmen einer gemeinsamen<br />

»jugoslawischen Identität« nicht mehr möglich. »Jugoslawisch« bedeutete<br />

nun großserbisches, ultranationalistisches Interesse, das nicht der Identität seiner<br />

Mitglieder entsprach. 291<br />

Obwohl Jurij in Graz eine Existenz aufgebaut hatte, blieb Slowenien für ihn<br />

und seine Frau »das Land der Sehnsucht«, wohin sie immer zurückkehren wollten.<br />

1993 kündigte Jurij schweren Herzens seinen Arbeitsvertrag, um in<br />

Slowenien eine eigene Firma für Baustellenbedarf zu gründen, »um etwas zu tun<br />

für [sein] Land.« Diese Entscheidung reiht sich in die Aufbruchstimmung Westeuropas<br />

nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten ein, in den<br />

»Aufschwung Ost«, wie das Prosperitätsversprechen in Deutschland euphorisch<br />

genannt wurde. Die Hoffnung, in seiner alten Heimat wieder Fuß zu fassen und<br />

dort die in Österreich erlangte soziale Anerkennung einlösen zu können, war es<br />

ihm wert, seine Verankerung in der österreichischen Gesellschaft aufzugeben.<br />

Jurij setzt für seine erhoffte Karriere als neuer Unternehmer auf zwei seiner<br />

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