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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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tet hat. Damit einher geht die Zerschlagung kollektiver Strukturen, die gegen die<br />

zerstörerische Logik des freien Marktes noch Widerstand leisten könnten. Die<br />

weitgehende Entmachtung der Arbeitnehmerverbände und Gewerkschaften ist<br />

eine Folge davon, eine andere die Entsolidarisierung zwischen den Berufsgruppen,<br />

die, unterstützt durch einen medial verstärkten Diskurs über die noch<br />

vorhandenen »Privilegien« der jeweils anderen, die Verteidigung ihrer eigenen,<br />

erworbenen Rechte aus den Augen verlieren. Eine weitere Folge ist der Anstieg<br />

von Mobbing innerhalb der Unternehmen, die den Druck des freien Marktes<br />

unmittelbar an die Beschäftigten delegieren. Der bewusst eingesetzte »peer-topeer«-Mechanismus<br />

54 fördert auf subtile Weise die direkte Konkurrenz zwischen<br />

den Arbeitnehmern und führt »zu erstaunlichen Härten und Grausamkeiten im<br />

Verhalten«. 55<br />

Die Verteilungskämpfe, in denen jeder dazu angehalten wird, sich selbst der<br />

Nächste zu sein, fördern die Vereinzelung. Dieser Prozess wird verstärkt durch<br />

individuelle Arbeitsverträge mit individueller Entlohnung und Bewertung, individuellen<br />

Sonderleistungen und Zielvorgaben. Die angestrebte Autonomie, ein an<br />

sich positiver Wert, kann aber nur von denen realisiert werden, die bereits zahlreiche<br />

Trümpfe in der Hand halten, die sie auf dem kompetitiven Arbeitsmarkt<br />

einsetzen können. Meist sind es die Gewinner und Gewinnerinnen, die bereits<br />

»in« sind und in den Unternehmen oben stehen. Einzelverträge bieten ihnen die<br />

Möglichkeit, ihre Position weiter zu verbessern und sich zusätzliche Handlungsspielräume<br />

herauszuschlagen. Für die große Mehrheit bedeutet diese Entwicklung<br />

aber die zunehmende Zerstückelung der Arbeit, Statusverlust und soziale<br />

Isolierung. Ihnen ist jenes notwendige Minimum an Schutzbestimmungen und<br />

Garantien, die die gewerkschaftlich ausgehandelten Kollektivverträge boten, verloren<br />

gegangen. Sie erleiden den »negativen Individualismus eines ›negativ definierten‹<br />

Individuums, dem keine Unterstützung«, kein Schutz mehr zuteil wird. 56<br />

Solange aus ihrer Verletzbarkeit noch Kapital geschlagen werden kann, dürfen sie<br />

innerhalb des Produktions- und Verteilungssystems verbleiben. Ein gesicherter<br />

Zukunftsentwurf als Voraussetzung für planendes, sinnvolles Handeln wird ihnen<br />

aber verwehrt und damit auch jenes Mindestmaß an Glaube und Hoffnung in die<br />

Zukunft, das für einen kollektiven Widerstand gegen die unerträglichen Zustände<br />

notwendig wäre.<br />

Die forcierte Vereinzelung entspricht dem wirtschaftlichen Kalkül, den<br />

»Rohstoff« Mensch uneingeschränkt verfügbar zu machen, ihn voll und <strong>ganz</strong>, bis<br />

hin zu seiner Seele, in Besitz zu nehmen und gewinnbringend zu vermarkten. Die<br />

Arbeitswelt der Gegenwart hat Züge einer »totalen Institution« 57 angenommen,<br />

die ihre Teilnehmer »mit eiserner Faust gepackt« hat, so dass in ihr »Freizeit,<br />

Arbeit und Schlaf ineinander verschwimmen.« 58 Jedem Versuch des Ausbruchs<br />

folgen Sanktionen struktureller Gewalt, die im extremsten Fall die Form des<br />

»sozialen Todes«, der Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben, annehmen kann.<br />

Diese machtvolle Drohung bildet den eigentlichen Kern für das paradox anmutende<br />

Szenario, dass die Menschen dem Bestreben, dazuzugehören, alles unter-<br />

29

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