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(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

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Zur Freiheit oder zum sozialen und kulturellen<br />

Tod?<br />

Elisabeth Katschnig-Fasch<br />

Hier geht es nicht um ein kulturpessimistisches Totsagen, sondern um das stille<br />

kulturelle und soziale Sterben der in einer individualisierten Leistungsgesellschaft<br />

Bedrohten und Entbehrlichen. Dazu gehören heute auch all jene, die<br />

versuchen, dem Druck irgendwie noch standzuhalten, aber gerade dadurch ebenso<br />

verlieren. 121 Sie leiden an permanent unterstellten Defiziten und glauben, den<br />

Anforderungen nicht mehr entsprechen zu können. Dadurch verlieren sie mehr<br />

und mehr die Kontrolle über ihre Existenz und ihre Zukunft und können vorausplanende<br />

Handlungsstrategien oder ein subversives Selbstverständnis immer<br />

weniger ausbilden. Ihr kulturelles Sterben ist gleichbedeutend mit der Ohnmacht<br />

über die Gestaltung des eigenen Lebens.<br />

In stabilen Gesellschaften, die Claude Lévi-Strauss als »kalte Gesellschaften«<br />

bezeichnet 122 , ist die soziale Existenz des Menschen in traditionellen Ordnungen<br />

eingebettet, seine Identität über traditionelle Zugehörigkeiten gesichert und sein<br />

Sein über die Zeit seines realen Lebens hinaus in der Erinnerung seiner Nachfahren<br />

erhalten. Hingegen ist es das Programm der modernen Gesellschaften bis<br />

in das späte 20. Jahrhundert, der sozialen Zuständigkeit des Nationalstaates für<br />

seine Bürger in seinem territorial begrenzten Handlungsspielraum zu vertrauen.<br />

Auch wenn der Aufbau der Sozialstaaten in der Nachkriegszeit von demokratischen<br />

Anliegen begleitet war, so waren die sozialen Strukturen und Sicherheitssysteme,<br />

die mit wohlfahrtsstaatlichen Bürokratien aufgebaut wurden, der Selbstbestimmung<br />

der Bürger und Bürgerinnen immer weniger förderlich, bis schließlich<br />

die Menschen nicht mehr als gesellschafts- und kulturgestaltende Persönlichkeiten<br />

dem Staat gegenüberstanden, sondern nur noch als vereinzelte und<br />

abhängige Individuen. In den 68ern wurde von einer progressiven Linken als<br />

Antwort auf die prinzipielle Sinnkrise der Moderne die Parole »Weniger Staat,<br />

mehr Eigenverantwortung« ausgerufen und eingefordert, die Menschen aus der<br />

bürokratischen Bevormundung zu entlassen und von staatlicher Macht zu<br />

befreien. Die nachfolgende Entwicklung signalisiert mit dem Stichwort Globalisierung<br />

das Auseinanderdriften der bislang kohärenten Beziehung zwischen<br />

Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und ihre Ausdehnung über die nationalen<br />

Grenzen hinweg.<br />

Der immer weiter in den Netzen der Weltwirtschaft und den Interdependenzen<br />

der Weltgesellschaft verstrickte Staat verliert an Handlungsfähigkeit und an<br />

demokratischer Substanz. 123 Unterstützt von der philosophischen Idee der<br />

»Rückkehr zum Subjekt« und unterfüttert von ökonomischen Effizienztheorien<br />

118

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