20.11.2014 Aufrufe

(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

(Hg.) – Das ganz alltägliche Elend - Löcker Verlag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Lüge. <strong>Das</strong> geht nicht. Die Erziehung kann nicht von einer Institution übernommen<br />

werden, die von ihrer Kompetenz und von ihren Aufgaben her so eingeschränkt<br />

ist und so spezialisiert ist wie die Schule. […] Falsche Tatsachen werden<br />

da vorgegaukelt. Wenn unser Schulsystem zunehmend als gesellschaftliche<br />

Sortiermaschine betrachtet wird unter diesen neuen Zwängen, da kann es doch<br />

mit dem Lebensraum und der Menschlichkeit nicht sehr weit her sein. Ich seh das<br />

immer wieder bei problematischen Schülern, den so genannten Verhaltensauffälligen<br />

und ihren besonderen Bedürfnissen. Die werden, wenn sie nicht<br />

irgendwie in das System einordenbar sind, doch ausgeschieden. Es gibt innerhalb<br />

der Schule keine Struktur, die mit schwierigen Schülern umgehen kann. Und die<br />

werden aber immer mehr unter diesen Bedingungen. Da gibt es diese Integrationsklassen.<br />

Aber dazu gibt es keine Infrastruktur. Eine Lüge also.<br />

– Sie empfinden diese Situation als Lüge, wie meinen Sie das?<br />

Herr Fasser – Oft sehe ich gerade bei Kindern aus Scheidungsfamilien, dass sie<br />

niemanden haben im familiären Umfeld, wo sie einen Halt haben oder aufgefangen<br />

werden. Da kannst als Lehrer nur zuschauen und den Ist-Zustand exekutieren.<br />

Du siehst, der wird schwächer und schwächer. Dann überlebt er irgendwie<br />

noch. Dann, nächstes Jahr, das Gleiche und da kannst zuschauen. <strong>Das</strong> ist schwierig.<br />

Obwohl der nicht blöder wäre als der andere, der ein intaktes Familienleben<br />

hat, der gehätschelt und getätschelt wird, einen ehrgeizigen Vater oder eine ehrgeizige<br />

Mutter im Hintergrund und drei Nachhilfelehrerinnen hat. Aber die sozialen<br />

Unterschiede kannst du nicht ausgleichen. Als Lehrer spielst du eine Rolle,<br />

als Direktor, Klassenvorstand, Mathematik-, Englischlehrer, jeder hat seine<br />

Rolle, und jeder zieht in eine andere Richtung.<br />

– <strong>Das</strong> klingt ja ziemlich resignativ.<br />

Herr Fasser – Meine [Rolle] ist sicherlich die eines Außenseiters, ich meine<br />

Position. Ich bin nicht an wichtiger Stelle, kein Angelpunkt, ohne den nichts läuft.<br />

Sowohl, was den Fächerkanon in der Mittelschule betrifft, als auch sonst von<br />

meinem Werdegang. Ich bin ein untypischer Außenseiter. Andererseits, andererseits<br />

brauch ich nicht die Sinngebung, die mir von der Gesellschaft zuerkannt<br />

wird, für mein Selbstwertgefühl. Vielleicht rede ich mir das ein. Ich hoffe, ich<br />

glaube, dass ich mich immer von den äußeren Zuschreibungen distanzieren konnte.<br />

Als Künstler geht es mir darum, Gedanken in die Welt zu setzen, die sind für<br />

mich wichtig. Und das mache ich als Lehrer. Aber bei den Mittelschullehrern ist<br />

ein traditioneller Werdegang wichtig, die haben nicht, so wie ich, die Schule<br />

abgebrochen, die haben auch keine Studienberechtigungsprüfung gemacht und<br />

dann irgendwie…Bei denen ist sicher alles anders gegangen: Mittelschulzeit,<br />

Studium, dann studiert. So ist das bei mir nicht. Da gehöre ich nicht hinein.<br />

April/Juni 2001<br />

165

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!