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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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wäre zurückgeführt worden an seine Anfänge, als Theater noch<br />

Kortner bedeutete und Cornelia Froboess als Minna von Barnhelm<br />

in den Münchener Kammerspielen. Aber er verbarrikadiert sich<br />

wohl besser in seiner Frankfurter Redaktionsstube. Denn die<br />

bitterböse Raucherordnungs-Intendantin Elisabeth Schweeger hat<br />

nun zur großen Gegenattacke geblasen. Die Süddeutsche Zeitung<br />

schreibt unter <strong>der</strong> Überschrift 'schauspielfrankfurt wehrt sich':<br />

"Der Skandal... geht in eine neue Runde. Nun hat sich das Theater<br />

zur Wehr gesetzt. Man werde es 'nicht hinnehmen, dass ein<br />

solcher bedauerlicher Vorfall wie dieser dazu genutzt wird, den<br />

Kunstra<strong>um</strong> Theater und die künstlerische Freiheit <strong>der</strong> dort tätigen<br />

Künstler einzuschränken' heißt es in einer Erklärung." Nun wird es<br />

sicher noch zu vielen Solidaritätsaktionen kommen, zu<br />

Podi<strong>um</strong>sdiskussionen, Talkshows im Fernsehen, Lichterketten und<br />

<strong>um</strong>gedichteten Singspielen an <strong>der</strong> Berliner Volksbühne. Peymann<br />

ist schon als erster ins Boot gesprungen, die an<strong>der</strong>en üblichen<br />

Verdächtigen werden sich nicht l<strong>um</strong>pen lassen. Schlingensieff, so<br />

ein Gerücht rund <strong>um</strong> den Rosa-Luxemburg-Platz, plant schon ein<br />

cross over von Stadelmaier, Bayreuth und Vogelgrippe. Der letzte<br />

namhafte Theaterkritiker soll dabei z<strong>um</strong> Mitspielen animiert<br />

werden.<br />

Es wäre <strong>der</strong> letzte Tag von 250 Jahren deutscher<br />

Theatergeschichte.<br />

Fußnote<br />

Odyssee durchs Regietheater:<br />

Diese Geschichte über das deutsche Regietheater brachte mir einen neuen Beruf ein.<br />

Wenn ich wollte, könnte ich meinen Lebensunterhalt nun als Spezialist für Angriffe gegen<br />

das Regietheater in Talkshows verdienen, auf Jahrzehnte. Also so lange, wie es das<br />

Regietheater noch gibt. Sagen wir, bis z<strong>um</strong> Jahr 2030.<br />

Ständig flattern Einladungen ins Haus, ich solle an Diskussionen über das Regietheater<br />

teilnehmen. Denn es gibt Tausende von Vertretern des 'Betriebs', aber nur mich als<br />

Gegner desselben. Bis auf einmal habe ich mir das natürlich erspart. Sollen die doch<br />

weiter ihre Suppe kochen, ich habe nichts damit zu tun. Ich hatte lediglich den <strong>Auf</strong>trag,<br />

für den SPIEGEL eine Woche lang jeden Abend ein Theaterstück zu sehen und meine<br />

Eindrücke aufzuschreiben. Das habe ich getan, und es hat mächtig viel Spaß gemacht.<br />

Also das <strong>Auf</strong>schreiben. Ich schreibe ja ohnehin gern. Aber hier hatte ich beson<strong>der</strong>s viel<br />

loszuwerden. Die Texte schrieben sich von selbst, so scheußlich war das Gesehene. Je<strong>der</strong><br />

Satz eine Befreiung von diesem Scheiß, dieser Frechheit. Ich war einmal in <strong>der</strong> Lage,<br />

stärker als je zuvor, Anwalt von mißhandelten Menschen zu werden. Menschen, die<br />

einfach nur enttäuscht wurden. Nicht gefoltert, nicht vergewaltigt, nicht diskriminiert,<br />

nicht ausgebeutet, son<strong>der</strong>n: enttäuscht. Sie waren freudig ins Theater gegangen, wie<br />

Kin<strong>der</strong>, hatten auf den Weih<strong>nachts</strong>mann gewartet, und stattdessen kam dann <strong>der</strong><br />

perverse Spanner vom zweiten Stock o<strong>der</strong> so. Statt Stoffteddys und Eisenbahnwagen<br />

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