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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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Ich nahm die Musik wahr, so sehr ich mich auch dagegen sträubte.<br />

Altherren-Disco. So ein p<strong>um</strong>pen<strong>der</strong>, automatisch eingestellter Boney-M-<br />

Rhythmus, zu dem zuletzt meine Eltern auf Ibiza tanzten, als Dieter<br />

Bohlen noch ein richtig heißer Tip war.<br />

Schon wie<strong>der</strong> ein wi<strong>der</strong>wärtiges Gesicht: Klaus Uwe Benneter. Angeblich<br />

Generalsekretär <strong>der</strong> SPD, in Wirklichkeit StamoKap-Führer aus <strong>der</strong> Apo-<br />

Zeit. Was machte <strong>der</strong> beim Klassenfeind? Was wollte <strong>der</strong> hier? War<strong>um</strong><br />

verteilte er nicht Flugblätter gegen Vietnam?<br />

Dann natürlich Wowereit, Berlins Regieren<strong>der</strong> Partymeister. Und Béla<br />

Anda, „früher bei BILD, heute Regierungssprecher". Und Vicky Leandross.<br />

Früher Schlagerstar, seit 40 Jahren nicht mehr, dafür von Beruf<br />

„Prominente“, wie auch viele an<strong>der</strong>e, bis hin zu Laurenz Meyer: „Der Ex-<br />

CDU-General (57) und Freundin Sonja (32) gut gelaunt: 'Uns geht's richtig<br />

gut!'" Und so weiter, Ex, Ex, Ex.<br />

Immer wie<strong>der</strong> beschleunigte ich meinen Schritt, weil irgendjemand häßlich<br />

lachte. Dieses häßliche Altmännerlachen, dagegen bin ich nämlich<br />

allergisch. Endlich ein noch amtieren<strong>der</strong> „Prominenter“: Kai Diekmann!<br />

Und erst (41)! Der Jüngste auf <strong>der</strong> Party. Ich blieb in seiner Nähe stehen,<br />

und wirklich kam Holger Pfahls hinzu, nein, äh... äh... Friedberg Pflüger,<br />

<strong>der</strong> außenpolitische Sprecher <strong>der</strong> CDU, glaube ich, (51), und <strong>der</strong> hatte<br />

eine echte Status-Frau dabei! Eine attraktive Blondine, märchenhaft<br />

schön, im weißen Kleid, winziger Popo, mit breitem Lachen, das sie<br />

je<strong>der</strong>zeit <strong>eins</strong>etzen konnte. Ich hatte Pflüger immer für schwul gehalten,<br />

o<strong>der</strong> für einen Waffenhändler. Wie man sich doch in den Menschen<br />

täuschen konnte, bis man sie persönlich traf!<br />

Aber gerade, als ich mir ein Getränk geholt hatte, <strong>um</strong> mir Mut<br />

anzutrinken, und die anziehende Status-Frau (27) ansprechen wollte,<br />

waren die Pflügers wie<strong>der</strong> gegangen. Das kalte Buffet mit tausenden von<br />

Crèmes, Puddings, Eis und Petit Fours blieb fast völlig unberührt. Es waren<br />

einfach zu wenig Leute da. Und wenn Pflüger schon ging, wollte ich nicht<br />

<strong>der</strong> Lückenfüller sein und ging auch.<br />

Diese Enttäuschung hätte mir fortan das Vorurteil eingeben können, dass<br />

Medienfeste scheiße sind. Aber ich war nicht so. Alles bekam bei mir eine<br />

zweite Chance, Vorurteile waren mir vollkommen unbekannt. Tags darauf<br />

gab es das große ZDF-Sommerfest.<br />

‚Nichts wie hin!’ dachte ich mir. Sicher konnte man <strong>um</strong>sonst essen und<br />

endlich an<strong>der</strong>e Nasen sehen als die von Babs Becker und FDP-Gerhardt<br />

(61). Ich ahnte noch nicht, wie sehr ich recht haben sollte! Da waren<br />

tausend Mal mehr Leute als beim Schmuddelblatt. Alle, die Angst hatten,<br />

neben Vicky Leandros als neues Mitglied des Loser-Clubs abgelichtet zu<br />

werden, strömten z<strong>um</strong> ZDF-Fest. Ich merkte plötzlich, wo die wahre<br />

Macht im Lande lag. Weiß Gott nicht bei <strong>der</strong> Groschen-Postille, wie ich so<br />

lange gedacht hatte, son<strong>der</strong>n bei <strong>der</strong> großen öffentlich-rechtlichen<br />

Riesenkrake, die strukturell links war, weil Teil des Sozialstaates.<br />

Zehntausende von gut ausgebildeten, lebenslang korr<strong>um</strong>pierten, bestens<br />

versorgten Leuten organisierten das kollektive Bewußtsein und<br />

verwalteten es, gewissenhaft und mit tödlicher Langeweile. An ihrem<br />

lethargischen Klammergriff war inzwischen unser ganzes Gemeinwesen<br />

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