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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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"Im wun<strong>der</strong>schönen Monat Mai,<br />

Als alle Knospen sprangen,<br />

Da ist in meinem Herzen,<br />

Die Liebe aufgegangen."<br />

Wir kommen nicht weit, weil die Freundin ebenfalls mit einem Galan in<br />

den Rokoko-Ra<strong>um</strong> poltert. Wir waren noch beim ersten Glas. Ich hätte es<br />

auch zu viert ausgehalten, aber die Leute waren pikiert o<strong>der</strong> so. Eben<br />

enttäuscht, daß sie nicht allein waren. Also ging ich wie<strong>der</strong>, z<strong>um</strong>al mir die<br />

Biographie Loredanas ungefähr dreißigmal besser gefallen hatte als die<br />

<strong>der</strong> bankrotten Bl<strong>um</strong>enfrau. So ist das eben. Man vergleicht. Je<strong>der</strong> zeigt<br />

seine Waren in Karlsbad, und je<strong>der</strong> kann kaufen o<strong>der</strong> weitergehen. Alles<br />

ganz menschlich. We're livin' in a free world, yeah! Gegen die Börse sagt<br />

ja auch keiner ein Wort, und zwar zu recht.<br />

Dann lerne ich Katharina Wosch kennen. Sie behauptet, nur z<strong>um</strong> Spaß da<br />

zu sein. Ihre Schwester habe hier jemanden gefunden und geheiratet.<br />

Aber sie, Katharina, denke nicht daran. Ihr gehe es <strong>um</strong>, ja, wie gesagt,<br />

<strong>um</strong> 'Spaß'.<br />

"Welchen 'Spaß' denn?"<br />

Na, Spaß eben. Sie ist geschätzte 39,9 Jahre alt und all<strong>eins</strong>tehend. Sie<br />

steht <strong>eins</strong>am am Gelän<strong>der</strong>, guckt nichtssagend ins Nichts. Ich glaube ihr<br />

kein Wort.<br />

"Nehmen Sie das hier nicht auf die leichte Schulter", sage ich warnend<br />

und gehe weiter. Das Fest hat Millionen gekostet. Da kann man nicht so<br />

ignorant sein.<br />

Der dritte Abend ist ein Kostümball. Ich gehe als 'Danton'. Lei<strong>der</strong> sehe ich<br />

eher wie <strong>der</strong> selige Franz-Josef Strauß unmittelbar vor seinem Jagdunfall<br />

aus. Das Kostüm und die weiße bauschige Perücke machen mich feist,<br />

böse und undemokratisch. Und immer noch ist <strong>der</strong> Fotograf in <strong>der</strong> Nähe,<br />

<strong>der</strong> mich mit 'Herr Kollege' anredet und alle Camouflage sinnlos macht. Er<br />

knipst weiter ungerührt seine grellen, farbverzerrenden Blitzbil<strong>der</strong> aus<br />

nächster Nähe:<br />

"Ja! Baby, zeig's mir! Ja! Sehr gut! Lächeln! Cheeese!"<br />

Ich nehme ihn beiseite:<br />

"Paul, kommen Sie mal. Sehen Sie die Leute da, die sich gerade<br />

gegenseitig mit ihren IXUS-40-Kameras ablichten? Das sind genau die<br />

Fotos, die <strong>der</strong> Spiegel NICHT drucken wird."<br />

"Hörn'S, Herr Graf! I hob letzte Woche die Königin Sylvia von Schweden<br />

fotographiert. Wollen Sie mir allen Eanstes sogn, wie i orbeiten muaß?!"<br />

Ich kapitulierte.<br />

"Aber, bittschön, Paul, sagen'S wenigstens net immer 'Herr Kollege' zu<br />

mir. Vor allem, wenn i mit dem gnädigen Fräulein beisammen steh, <strong>der</strong><br />

Loredana, Sie wissen schon..."<br />

Loredana ging nämlich als 'Mozarts Muse' und sah bezaubernd aus. Sie<br />

gestand mir nun, daß sie Goethe im Original gelesen habe und sogar<br />

selber eine A<strong>der</strong> z<strong>um</strong> Schreiben habe. Ja, ein ganzes Buch habe sie<br />

verfaßt, und sogar veröffentlicht. Einen Roman.<br />

"Wo ist das Werk denn erschienen?" fragte ich höflich. Sie nannte den<br />

größten deutschen Verlag.<br />

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