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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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Friebes CD „Vorher Nachher Bil<strong>der</strong>“ (ZickZack) erschienen ist. Dabei ist<br />

Friebe nicht gerade schön, aber dreist angeschwult und undefinierbar<br />

daneben. Irgendwas ist da, das es bisher nicht gab. Die Mädchen sind<br />

verrückt nach ihm, auf Konzerten sieht man sie, rot angelaufen, verheult,<br />

erregt. Die Manager registrieren diesen „Groupiefaktor“ sehr genau.<br />

Wann hatte es zuletzt einen deutschen Star mit diesem Faktor gegeben?<br />

Selbst <strong>der</strong> frauenfixierte Bernd Begemann zog in demselben Alter nur<br />

männliche Fans an, vor 15 Jahren. Doch nun: Jens Friebe. Ein Name wie<br />

eine Autowerkstatt. Wie für eine schlechte Comedysendung ausgedacht.<br />

So könnte ein Busfahrer heißen. Aber einer, <strong>der</strong> MTV-Mädchen in den<br />

Orgasmus treibt? Wie ist das überhaupt, mit so vielen Groupies zu<br />

schlafen? Was machen da seine metrosexuellen Persönlichkeitsanteile?<br />

„Ich kann’s dir nicht sagen, Mann, selbst wenn ich es könnte“, stöhnt er.<br />

Zur Metrosexualität gehört auch, nicht mehr über Sex zu reden: „Das ist<br />

einfach over.“ Eine gute Kombi sei, verrät er immerhin, die mittelalte Frau<br />

mit Kind. Da verbinde sich die reale Lebenserfahrung <strong>der</strong> Frau mit <strong>der</strong><br />

unterstellten Medien-, also Welterfahrung des nur <strong>halb</strong> so alten Jungstars.<br />

Aber am liebsten schläft er immer noch mit seiner Freundin Doreen aus<br />

Hellersdorf, weil da „Spiritualität“ hinzukomme.<br />

Anyway: Er will dafür geliebt werden, ein Star zu sein. Nur als Star fühlt<br />

er sich gemeint. Alles an<strong>der</strong>e wäre austauschbar. „An<strong>der</strong>e Jungs haben<br />

alles, was ich auch habe. Aber den Starstatus haben sie nicht.“ Bei<br />

Frauen, die ihn deswegen lieben, muss er keine Konkurrenz fürchten.<br />

„Wer sollte da kommen? Die Jungs von Echt vielleicht? Das sind doch<br />

Schüler!“ Schlecht gelaunt stolpert er weiter. Der Sozialismus hat<br />

Grünflächen nie in den Griff bekommen. Die wilden Grasbüschel im<br />

Mittelstreifen machen, was sie wollen. Na ja, Honecker ist tot, da tanzen<br />

die Mäuse auf den Tischen.<br />

„Wie findest du eigentlich meine Platte?!“, fragt Friebe ungeduldig. Ich<br />

erkläre es: „Sehr dynamisch! Die Musik hängt mich immer nach zehn<br />

Sekunden ab. Von da an kann ich nicht mehr auf den Text achten,<br />

son<strong>der</strong>n werde von dieser sich ständig steigernden Dynamik ergriffen. Das<br />

ist bei allen Stücken so. Sie beginnen intellektuell und enden dramatisch.“<br />

Jens nickt befriedigt. Er gilt nämlich als politisch und engagiert. Aber<br />

lieber wäre er ein guter Musiker.<br />

Die Stalinallee, die heute wie<strong>der</strong> Frankfurter heißt, nimmt kein Ende.<br />

Friebe schaltet auf Konversation <strong>um</strong>, also Städtevergleiche, Horoskope,<br />

Weltreligionen und so weiter. Köln sei die Stadt mit dem schlimmsten<br />

Regionalismus. An Berlin komme natürlich nichts heran: „Und man denkt:<br />

War<strong>um</strong> bin ich nicht gleich hierher gezogen?“ Wir stolpern nach vorn,<br />

unseren Füßen hinterher. Friebe hat den totalen hangover. Die lassen so<br />

einen hübschen jungen Popstar ja nicht einfach wie<strong>der</strong> in den Tourbus<br />

steigen, die weiblichen Fans. Eine Gruppe Ostjugendlicher überholt uns.<br />

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