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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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11.034 Meter über Winnipeg. Die Crew erfüllte mir jeden Wunsch.<br />

Die 20 Mann R<strong>um</strong>pfbesatzung des altersschwachen 70er Jahre<br />

J<strong>um</strong>bos waren dankbar für jeden Impuls, <strong>der</strong> von ihrem einzigen<br />

Passagier kam. Die Stewards waren in <strong>der</strong> Regel schwul, und die<br />

Stewardessen reizlos und verblüht, Enddreißiger-Muttis und biracenal,<br />

<strong>um</strong> nicht zu sagen: sie kamen aus Mexiko. Jedenfalls<br />

hatten sie nichts von jener Coolness, die britische Stewardessen<br />

jeden Alters und je<strong>der</strong> Schönheitsstufe selbst bei<br />

Kurzstreckenflügen zwischen Hamburg und Liverpool an den Tag<br />

legten. Sie standen mit ihren Endlos-Beinen vor einem, in ihren<br />

dunkelblauen maßgeschnei<strong>der</strong>ten Kostümen, ach ihren blonden<br />

Haaren, schoben das schmale Becken vor und fragten drohend<br />

nach speziellen Wünschen, die man an sie hätte. Heute wäre <strong>der</strong><br />

Tag gewesen, an dem ich meinen speziellen Wunsch gesagt und<br />

sogar erfüllt bekommen hätte. Aber mit dem schwulen Mister Kidd<br />

wollte ich nicht in die Kabine, und auch nicht mit <strong>der</strong> illegalen<br />

Putzhilfe aus San Fernando, die ihre sieben kraushaarigen<br />

Banditenkin<strong>der</strong> durchbringen mußte.<br />

Ich landete und wurde von meinem Neffen Elias und seiner<br />

Freundin abgeholt. Wo war die hochgewachsene Judith Bröhl? Ich<br />

reckte meinen Kof nach ihr, sah sie nicht. Ihretwegen war ich<br />

gekommen. Elias hatte sich geweigert, sie im Auto mitzunehmen.<br />

„Was willst Du denn mit <strong>der</strong>?“ fragte, nein erklärte er mißmutig.<br />

Für ihn war sie eine Person, die nicht zu mir paßte. Ich war zu<br />

feige, ihn zurechtzuweisen. Nicht jetzt. Außerdem hatte ich es<br />

schon ausgiebig getan. Von Berlin aus hatte ich ihm am Telefon<br />

vorgeschwärmt, wie gut Judith Bröhl gerade in konservativen<br />

Kreisen auftrete. Wie sie <strong>der</strong> party crusher war. Wie sie selbst die<br />

verklemmtesten Intellektuellen z<strong>um</strong> Lachen brachte. Sie sei die<br />

ideale Begleitung für jedes seriöse Event, <strong>um</strong> es etwas<br />

unterhaltsamer und weniger seriös zu machen. Die Menschen<br />

würden mich lieben, wenn ich mit Judith Bröhl auftauchte, auch<br />

und gerade die, die Vorbehalte gegen Frauen ohne Abitur hätten.<br />

Ich verzichtete auf den Zusatz, Judith habe sogar Abitur plus eine<br />

abgeschlossene Hochschulausbildung. Ich wollte nur, daß Elias<br />

mich verstand. Er reagierte nicht. Für ihn hatte Judith Bröhl nur<br />

Hauptschulabschluß. Weil sie so redete, als sei sie im Kohlenkeller<br />

<strong>der</strong> Rütli Schule zur Welt gekommen.<br />

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