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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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Jahrhun<strong>der</strong>ten, als es die hohen Häuser noch nicht gab, mussten die Leute<br />

wirklich gedacht haben, die Domspitze erreiche den Bereich <strong>der</strong> Engel.<br />

Lei<strong>der</strong> sind jetzt wie<strong>der</strong> die Schranzen dran, die Würdenträger, die feisten<br />

purpurnen Bischöfe mit den dicken Bäuchen und dem falschen Lächeln,<br />

<strong>der</strong> Bürgermeister mit <strong>der</strong> Karnevalskette, <strong>der</strong> wahlkämpfende Köhler,<br />

Angeber und Wichtigtuer aller Art und Provenienz, am schlimmsten<br />

natürlich wie<strong>der</strong> Lehmann. Der hatte Tags zuvor die Hirnverbranntheit<br />

besessen, die katholische Sexualmoral hinterfragen zu wollen. Woraufhin<br />

ihn die geistlosen Mainstream-Medien postwendend z<strong>um</strong> "liberalen<br />

Hoffnungsträger" ausriefen. Was für eine Idiotie! Die katholische<br />

Sexualmoral ist die einzige Tr<strong>um</strong>pfkarte <strong>der</strong> Kirche, <strong>der</strong> einzige<br />

Wi<strong>der</strong>stand gegen die vom Turbokapitalismus gewollte Pornografisierung<br />

unserer Gesellschaft, besser gesagt seelenlose Warenwelt. Doch dann riss<br />

<strong>der</strong> Papst wie<strong>der</strong> alles raus.<br />

Er schritt ins Innere des Domes, langsam und doch kräftig, bis hin z<strong>um</strong><br />

großen Hauptaltar, und fiel dort nach einer Kunstpause auf die Knie. Man<br />

sah die weiße Gestalt beten, ja im Gebet verharren, minutenlang, völlig<br />

unbeweglich, wie tot. <strong>Auf</strong> dem Domplatz wurde es auf einmal ganz ruhig.<br />

Keiner wagte mehr zu atmen. 1,2 Millionen Menschen schlossen die<br />

Augen, vergaßen Köhler, Merkel und Bischof Lehmanns Karrierepläne und<br />

beteten. Ein vielhun<strong>der</strong>tstimmiger Frauenchoral setzte ein. Ich bekam eine<br />

Gänsehaut. Es war, als würde ein Geist durch alle Versammelten<br />

hindurchgehen.<br />

Der Papst erhob sich. Würdevoll, ohne den blöden Stab, an den sich sein<br />

siecher Vorgänger immer klammern musste, ging er wie<strong>der</strong> zu den<br />

Gläubigen und hielt seine Predigt. Eine frohe Botschaft. Wir sollten IHN<br />

anbeten, sagte er, und meinte damit nicht einmal sich selbst. Er begrüßte<br />

die Jugend aus 193 Nationen. Die Jugend sei nicht verunsichert und<br />

ängstlich, erklärte er lachend und zur Verblüffung <strong>der</strong> 6.500 ebenfalls<br />

angereisten Journalisten.<br />

"Die Jugend", erklärte er ihnen, "will das Große."<br />

34. Die hessische Stadt Schlitz - Schauplatz des neuen Buches von<br />

Florian Illies<br />

Nun wird auch die Natur neu entdeckt. Was die WM fürs Nationale, könnte<br />

dies Buch für die verlorene Naturbegeisterung <strong>der</strong> Deutschen werden. Für<br />

ihre Romantik. Ihr Heimatgefühl. Endlich darf man es wie<strong>der</strong> sagen, denn<br />

Illies hat den Mut dazu aufgebracht, und <strong>der</strong> muß beträchtlich gewesen<br />

sein: "Peitscht <strong>der</strong> Regen übers Land, dann drätschds; fallen sehr dicke<br />

Tropfen aus dunklen Wolken, dann draddelds; kommen die Tropfen nur<br />

vereinzelt und kleiner von oben, dann drebbelds." Über die Schlitzer,<br />

Einwohner seiner Geburts- und Heimatstadt, schreibt er, weit ausholend,<br />

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