14.11.2012 Aufrufe

Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Die Stadt war leer. Die Messe ka<strong>um</strong> besucht. Die Taxis ohne Kundschaft. Die<br />

Verlage brachten Bücher heraus, die vom Ghetto in Amsterdam handelten<br />

und wo altgewordene Dauergermanistikstudenten aus Karlsruhe über Freud'<br />

und Leid verfolgter Juden während <strong>der</strong> deutschen Besatzung her<strong>um</strong>puzzelten.<br />

Alles handwerklich sehr anerkennenswert und Satz für Satz staatlich geprüft<br />

'literarisch'. Alle Fernsehsen<strong>der</strong> berichteten in ihren Kulturson<strong>der</strong>sendungen<br />

pflichtschuldigst darüber. Der Absatz brach ein, die Geschäfte gingen<br />

reihenweise pleite. Fünfzehn Jahre lang hatte man den 'Tod <strong>der</strong> Popliteratur'<br />

gefeiert, jedes Jahr aufs Neue, nun nicht mehr. Nun war sie nämlich wirklich<br />

tot. Der einzige Titel dieses Jahr: Zoe Jennys 'Ein schnelles Leben'. Nur sie<br />

konnte man noch nach Herzenslust verreißen. Nur sie war sicher, keinen<br />

Preis mehr zu bekommen und die bisherigen sogar zurückgeben zu müssen.<br />

Ansonsten waren alle Popliteraten aus dem Programm geflogen, Stichtag 11.<br />

September 2001. Seitdem wurde wie<strong>der</strong> "ernsthaft erzählt", also über Väter<br />

in Albanien mit elf Söhnen, die die Schafe hüten in zeitloser literarischer<br />

Pracht. Über Mütter in irischen Dörfern, die klaglos die Jahrzehnte<br />

überdauern und über ihre pittoresk saufenden Männer. Gähn.<br />

Die Melba und ich erreichten den Stand unseres Verlages, wo <strong>der</strong> Verleger<br />

schon wartete. Er stand mit Wolf Biermann zusammen, einem ehemaligen<br />

DDR-Schriftsteller, <strong>der</strong> später auch im Westen durch ein legendäres<br />

Rockkonzert (o<strong>der</strong> war es eine Lesung?) in Köln bekannt wurde. Das war<br />

aber lange her, ich glaube sogar noch vor dem Fall <strong>der</strong> berüchtigten 'Mauer'.<br />

Wolf Biermann war später persönlich eng befreundet mit Rudolf Augstein, das<br />

wußte ich noch. Mehr aber nicht. Nun stand er da. Mit dem Verleger Seite an<br />

Seite! Ein Come-back bahnte sich an. Denn wer neben dem Verleger stand,<br />

hatte es gut. "Wenn die Sonne des Verlegers auf dich fällt, frohlocke"<br />

dichtete schon Wolfram von Eschenbach.<br />

Ich wartete, damit die Melba den Verleger begrüßte. Tat sie aber nicht.<br />

Vollkommen verwirrt stand sie vor ihm, unfähig einen Ton zu sagen. Ihre<br />

Augen irrten durch die Gegend, schienen ausdrücken zu wollen: "Ich bin ja so<br />

durcheinan<strong>der</strong>, aber letztenendes bin ich auch EINE FRAU und nichts als<br />

das!", was lei<strong>der</strong> nicht die Wahrheit war. Die Melba war die Chefin einer<br />

überaus wichtigen Medieninstitution, und so gab <strong>der</strong> Verleger ihr förmlich die<br />

Hand. Mich dagegen <strong>um</strong>armte er herzlich.<br />

Wir verabredeten uns für die Rowohltparty. Dann entdeckte ich den Mann,<br />

<strong>der</strong> mir seinen Computer geschenkt hatte, einen Schriftsteller. Wir sprachen<br />

lange. Natürlich nur über den Computer. Der Mann war nämlich selbst<br />

Schriftsteller. Er hieß Müller o<strong>der</strong> so ähnlich. Nein... Wagner? Thorsten<br />

Becker? Nee... ich muß nachsehen. Für wichtige Computerfragen habe ich<br />

immer seine N<strong>um</strong>mer bei mir. Er heißt... und einen guten Frauengeschmack<br />

hat er... Thomas Palzer! Ja, ein guter Typ. Und da stand schon wie<strong>der</strong> so ein<br />

unverbrauchtes Stück Frau neben ihm, wie frisch aus dem Ofen, guten<br />

Appetit! Noch duftend und dampfend... <strong>der</strong> Mann wußte zu leben. Er hatte<br />

graue Haare, aber die Kraft <strong>der</strong> zwei Herzen - ich verehrte ihn wirklich. Der<br />

punktete und punktete, wann immer ich ihn traf, später erzählten mir die<br />

Verlagssekretärinnen, wie gut er war. Ich dagegen verlor meistens. Sogar<br />

und gerade auf <strong>der</strong> Frankfurter Buchmesse. Wie blöde!<br />

81

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!