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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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gleichzeitig. Wohl fürs Protokoll, Sex macht nicht glücklich. Auch sein<br />

Sohn zitiert ein paar Nebenszenen lang das Elend von 'Sex, drugs and<br />

rock'n'roll'. Das för<strong>der</strong>t dann immer dieses Kifferbewußtsein zutage. Die<br />

Wortkargen lachen dann so schräge, und die 60jährigen Zuschauer sollen<br />

schmunzeln. Die Hintergrundgeräusche werden hochgedreht. Wie<strong>der</strong><br />

gelingen dem Kameramann (Franz Lustig) 'schöne' <strong>Auf</strong>nahmen.<br />

Bäh! Was für ein Dreck. Wer stellt das endlich ab? Wenn es keiner tut,<br />

geht das auch die nächsten 30 Jahre so weiter. Denn Wim Wen<strong>der</strong>s ist<br />

smart. Der wird über 100. In seiner Weise ist er mo<strong>der</strong>ner als wir alle.<br />

Fußnote<br />

Wim Wen<strong>der</strong>s:<br />

Je<strong>der</strong> Schriftsteller schreibt auch ab und zu für die Presse, und die Erfahrungen, die ICH<br />

in meinem langen Leben mit diesem Bereich gemacht hatte, waren eigentlich immer<br />

positiv gewesen. Die Leute bekamen meinen Text, riefen auf <strong>der</strong> Stelle zurück, freuten<br />

sich wie Kin<strong>der</strong>. Noch mehr aber freute ich mich, wenn ich ihn wenig später in <strong>der</strong><br />

Zeitung las. Er war noch besser geworden. Sie hatten ihn fein gekürzt, prägnanter<br />

gemacht, schön bebil<strong>der</strong>t, aufreizend präsentiert, dazu ein Foto von mir, ein Kasten mit<br />

Lebenslauf, Hinweis auf das neue Buch, prima. Was für tolle Kerle, diese Zeitungsleute!<br />

Die verstanden ihren Job. Auch die Themenvorschläge kamen von ihnen. Man mußte<br />

wirklich nichts tun, außer einmal schreiben. Und <strong>der</strong> Herr Redaktör rief immer an und<br />

entschuldigte sich, dass er habe kürzen müssen. "Aber mein Lieber, das ist doch Ihr<br />

Beruf!" antwortete ich dann immer. Niemand gab mir soviel Selbstwertgefühl wie<br />

diese Redakteure, denn sie liebten meine Texte. Der Beweis dafür schien mir<br />

dieses schnelle Antworten zu sein, und dabei diese Euphorie in <strong>der</strong> Stimme. Aus<br />

eigener Erfahrung wußte ich, dass man Texte, die einen nicht begeistern, lange<br />

auf dem Schreibtisch liegen läßt. Ich war nämlich einmal als junger Student<br />

Volontär bei einer Zeitung gewesen, <strong>der</strong> damals noch liberalen DIE WELT.<br />

Irgendeiner <strong>der</strong> älteren Granden des Großverlages, dem die Zeitung gehörte, ich<br />

glaube, es war <strong>der</strong> damals schon legendäre Hans-Herrmann Tiedje, hatte mich z<strong>um</strong><br />

Edelstein erklärt, <strong>der</strong> geschliffen werden sollte. Ich bekam einen Vorgesetzten, <strong>der</strong><br />

das Schleifen übernahm, ein sogenannter CvD, also Chef vom Dienst. Dieser<br />

Mann war bis zu meinem Antritt beim SPIEGEL <strong>der</strong> einzige Mensch, <strong>der</strong> mich dazu<br />

bringen wollte, meine eigenen Texte <strong>um</strong>zuschreiben. Für mich war das ein perverser<br />

Vorgang, schwer zu beschreiben, so als sollte ich Eigenurin trinken und dabei<br />

gesund werden, obwohl mir nichts fehlte. Damals bekam ich jeden Mittag ein<br />

Thema und die Zeilenzahl, lieferte ein paar Stunden später ab, und es wurde zur<br />

großen Freude aller Vorgesetzten gedruckt. Man munkelte Gutes über mich. Axel<br />

Springer fuhr mit mir einmal Paternoster - ich hatte ihn abgepaßt - und sagte<br />

zu mir, nachdem ich schnell und überdeutlich meinen Namen gesagt hatte: "Es<br />

klingt für Sie wahrscheinlich nur so dahingesagt, aber bitte glauben Sie mir,<br />

dasss es mich sehr bewegt, wenn ich junge Leute wie Sie sehe... ich freue mich<br />

so... machen Sie so weiter!" Das war 1983 gewesen, und lei<strong>der</strong> war es <strong>der</strong> Anfang<br />

vom Ende meines <strong>Auf</strong>stiegs da gewesen. Denn dieser "Schleifer", den ich jetzt<br />

bekam, gab mir jeden Artikel wie<strong>der</strong> zurück. Aus Prinzip. Ich konnte nichts<br />

an<strong>der</strong>es tun, als z<strong>um</strong> selben Thema einen ZWEITEN Artikel zu schreiben. Ich achtete<br />

darauf, dass <strong>der</strong> zweite Artikel nichts mit dem ersten zu tun hatte. Während<br />

mir <strong>der</strong> erste noch Spaß gemacht hatte - ich schreibe für mein Leben gern, es<br />

ist für mich die Belohnung fürs Ertragen des schrecklichen Lebens - war <strong>der</strong><br />

zweite fast schon Arbeit. Der Schleifer liess auch den zweiten zurückgehen. Auch<br />

den dritten. Ein Krieg entbrannte. Natürlich dachte <strong>der</strong> Schleifer, ich hätte<br />

psychologische Motive. Wolle ihn ärgern. Wolle irgendeinen absurden Machtkampf<br />

führen. Sei in <strong>der</strong> Pubertät. Sei größenwahnsinnig. Wolle seinen Posten haben.<br />

Wie dämlich. Selten war mir ein Mensch so gleichgültig wie dieser gesichtsund<br />

geschichtslose CvD. Ich konnte mir noch nicht einmal seinen Namen merken.<br />

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