14.11.2012 Aufrufe

Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

furchtbaren Nacht werden würde. Weil sie sehr vieles war, ja die ganze WELT<br />

war, aber eben auch, nicht wahr, ganz ganz am Ende, auch eine Frau... Ich<br />

ließ mir von <strong>der</strong> Gar<strong>der</strong>obe meinen Mantel geben.<br />

In dem steckte das neue Buch, das von mir im Januar herauskam, also <strong>der</strong><br />

neue Schutz<strong>um</strong>schlag, den Ulrike Henneke von KiWi mir vorhin zugesteckt<br />

hatte. Ich hatte nun so eine vage Idee. Es war klar, daß <strong>der</strong> große Kritiker<br />

meinen Namen SCHON WIEDER vergessen hatte. Ich hätte noch achtmal im<br />

Laufe des Abends zu ihm treten und meinen Namen schmettern können - er<br />

hätte ihn dennoch gleich wie<strong>der</strong> vergessen. Mit dem neuen Schutz<strong>um</strong>schlag<br />

war das schwieriger. Ich schrieb seinen Namen darauf und versuchte dabei,<br />

seine Schrift, die ich kannte, nachz<strong>um</strong>achen. Dann ging ich wie<strong>der</strong> ins<br />

Innere. <strong>Auf</strong> seinen Platz direkt neben seiner Frau traute sich natürlich<br />

niemand hinzusetzen. Der war als einziger auf <strong>der</strong> ganzen Party frei. Ich<br />

schlen<strong>der</strong>te hin und legte den Schutz<strong>um</strong>schlag darauf. Seine Frau und auch<br />

sonst niemand achtete darauf. Dann begann ich seelenruhig mit dem Handy<br />

zu telefonieren. Nach einigen Minuten entfernte ich mich, behielt aber den<br />

Platz im Auge. Ich blätterte in den Novellen Guy de Maupassants. Ein Herr<br />

sprach mich an, ein Mann unter 40, <strong>der</strong> sich deswegen fremd fühlte und<br />

Anschluß suchte. Während ich mit ihm über die Villa und die Bücher<br />

plau<strong>der</strong>te, sah ich, wie zwanzig Meter weiter <strong>der</strong> Literaturpapst zurückkam,<br />

meinen neuen Roman fand und sich kopfschüttelnd darüberbeugte. Er starrte<br />

minutenlang auf den Schutz<strong>um</strong>schlag, auf seine eigene Schrift darauf, und<br />

sicher immer wie<strong>der</strong> auf die völlig unbekannten Worte JOACHIM LOTTMANN.<br />

Nun konnte ich beruhigt gehen und tat es auch. Ich trat in den Vorra<strong>um</strong>.<br />

Diener sprangen auf mich zu. Ich gab zu Protokoll, ein Taxi zu benötigen.<br />

Sicherheitsbeamte und Bundesgrenzschützer sprachen gepreßt leise Befehle<br />

in ihre ans Kinn gebundenen Mikrophone. Der Kanzler war nicht gekommen.<br />

Der vergnügte sich bei Rowohlt, wo es sogar Autoren gab. Und da fuhr ich<br />

jetzt auch hin.<br />

Ich stellte mir vor, wie nun die Spitzen aus Politik und Wirtschaft über die<br />

arme, unschuldige Melba, im Geiste immer noch 14, herfielen. Diese<br />

Schweine. Sahen die denn nicht, daß sie noch Jungfrau war, in gewisser<br />

Weise? Hatten die denn nichts gelernt seit Stalingrad? Plötzlich lief eine Frau<br />

vors Auto, die wollte auch zu Rowohlt wollte. Verena Kosglut o<strong>der</strong> so, ich<br />

versuchte mir sofort den Namen zu merken, weil sie so gut aussah und einen<br />

WEISSEN Cordanzug trug. Sie sagte, sie übersetze große deutsche<br />

Gegenwartsromane ins Italienische.<br />

Vor dem Rowohltpartygebäude spielten sich schreckliche Szenen ab, wie vor<br />

<strong>der</strong> deutschen Botschaft in Peking, wo immer Nordkoreaner reinwollen. Es<br />

gab eine Liste, und ich stand zwar drauf, nicht aber Verena Kosgluth. Wir<br />

verhandelten zäh bis in die Nacht hinein, wie <strong>eins</strong>t Genscher vor <strong>der</strong><br />

deutschen Botschaft (Prag war das in dem Fall). Später kam eine Gruppe<br />

Fans dazu, die ich selbst eingeladen hatte. Junge Leute, knapp über 30,<br />

denen ich gesagt hatte: 'hey, ich bring euch da rein'. Nun standen sie da und<br />

guckten fast so verwirrt wie die Melba.<br />

Nein, nicht so wie die Melba. Niemand konnte so heillos verwirrt gucken wie<br />

sie ("<strong>Mein</strong> Herr, ich verstehe nicht... Ihnen etwas blasen... ich kann doch gar<br />

keine Noten lesen?"). Die jungen Fans sahen ganz normal aus. Nur ihre<br />

85

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!